Shanera (German Edition)
bekommen, Giras Geschenk. Sie wollte sich die Schriftzeichen einmal näher anschauen. Und wegen des leblosen Vogels konnte sie heute Abend Kessy fragen. Sie würde sie schon irgendwie überreden können, mit der Sprache herauszurücken.
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Die auf dem Leuchtholz eingravierten Zeichen sahen bei näherer Betrachtung fast wie kleine, sehr einfache Zeichnungen aus. Jedenfalls war es keine Shanera bekannte Schrift. Die Ausführung war etwas ungleichmäßig, vielleicht hatte es schnell gehen müssen. Hatte Gira selbst die Zeichen am letzten Morgen angebracht, während ihr Gast sich für den Aufbruch vorbereitet und von Arab und den anderen verabschiedet hatte?
Shanera konnte aus den Zeichen nicht schlau werden. Es waren insgesamt neun Stück, fünf davon in der ersten Zeile: Zwei halbrunde Formen, die etwas einzuschließen schienen, zwei ineinander gesetzte Kreise, dann sechs Striche, die sternförmig von einem leeren Zentrum ausgingen. Es folgten ein Schnörkel mit einem langen geraden Ende und zuletzt drei kleine Halbkreise übereinander, die sich abwechselnd nach links und rechts öffneten.
In der zweiten Zeile wiederholten sich der Schnörkel, die sechs Striche und die zwei halbrunden Formen, gefolgt von einer rundlichen Form mit einer Delle darin.
Das Einzige, was Shanera nach längerem Nachdenken auffiel, waren die beiden konzentrischen Kreise. Sie sahen fast wie das Leuchtholz selbst aus, der blaue Leuchtkern in der Mitte und darum herum die hölzerne Einfassung. Wenn das so war, dann handelte es sich vielleicht auch bei den anderen Zeichen um vereinfachte bildliche Darstellungen.
Aber natürlich konnten zwei Kreise alles mögliche bedeuten. Shanera seufzte und ließ das Leuchtholz ein paarmal auf dem Tisch kreiseln, während sie weiter grübelte.
Die Tür zum Schlafraum öffnete sich und Kessy steckte den Kopf herein.
„Hier bist Du. Ich dachte, Ihr seid alle in der Küche.“
„Nein …", antwortete Shanera unbestimmt.
„Alles in Ordnung?“
„Ja, alles klar.“ Shanera zeigte das Leuchtholz vor. „Sag mal, vielleicht kannst Du mir hiermit weiterhelfen?“
„Was ist das?“
„Ein Geschenk. Es leuchtet, wenn man es vom Licht ins Dunkel bringt. Es sind ein paar Zeichen drauf, die ich nicht verstehe.“
„Es leuchtet im Dunkeln? Interessant. Zeig mal die Zeichen. Hast Du irgendeinen Anhaltspunkt?“
Shanera erklärte ihre Theorie von den zwei Kreisen.
„Wäre eine Möglichkeit.“, stimmte Kessy zu. „Hast Du das Ding von dem Waldvolk, von dem Du erzählt hast?“ Sie grinste Shanera an, die nickte.
„Nachdem wir noch nichts mit ihnen zu tun hatten, kennen wir ihre Schrift nicht. Aber wenn Deine Vermutung über die Kreise stimmt und die anderen Symbole auch bildhaft gemeint sind, dann gibt es eine Chance. Kann ich das mal kurz haben?“
Shanera überreichte Kessy das Leuchtholz. Die hielt das es mit der Gravur vor einen bestimmten Punkt der Wand und tippte ein paarmal auf einen Bereich des Tisches, der ähnlich wie die lebenden Karten zu funktionieren schien. Ein Abbild der Gravur erschien.
Kessy gab Shanera das Holz zurück. „Sobald ich dazu komme, lasse ich ein paar Analyseroutinen über das Bild laufen. Wenn es vereinfachte Bilder sind und es irgendeine sinnvolle Bedeutungskombination für die Zeichen gibt, wird sie dabei herauskommen.“
„Ich verstehe zwar nur die Hälfte, aber wenn das heißt, dass Du herausbekommen kannst, was das bedeutet, dann soll es mir recht sein. Danke.“
Kessy lachte. „Hoffentlich ist es keine zu persönliche Botschaft.“ Als Shanera schluckte und sich eine leichte Rötung in ihrem Gesicht abzeichnete, lachte sie noch lauter. „Keine Angst, Deine Geheimnisse sind bei mir sicher.“
Während sie das Holz einsteckte, nickte Shanera dankbar. „Es ist von Gira. Ich habe sie dort getroffen.“, verriet sie. „Außerdem habe ich noch eine andere Frage.“
„Fragen, Fragen, Fragen.“, summte Kessy. „Neugier ist eine gefährliche Eigenschaft, weißt Du?“
„Ohne Neugier ist man so gut wie tot.“, konterte Shanera.
„Wenn Du es so siehst … Worum geht's denn?“
„Um den Vogel, der im Vorraum liegt.“
„Oh.“
„Ja, oh. Was ist mit ihm?“
Kessy zögerte. „Es gibt sowieso schon Probleme, weil Du zu viel über uns weißt. Es wäre wirklich keine gute Idee, Dir noch mehr zu erzählen.“
„Wie Du schon sagtest – ich habe sowieso schon Probleme. Da kann es doch auf diese Geschichte nicht mehr ankommen. Windbote ist mir die ganze
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