Shanera (German Edition)
Höhle und versuchte, nicht an den Abgrund unter ihr zu denken. Obwohl es hier wohl kaum tiefer hinab ging als außen an der Großen Wand, beunruhigten sie doch die schwarzen Schatten, die unter ihr lagen und alles verbargen, was vielleicht darunter lag. Als sie sich an einem herausstehenden Kristall festhielt und einen Blick zurückwarf, sah sie Koras. Vor dem Hintergrund des fallenden Wassers schwebte er auf die Felsen zu, verließ schließlich das Seil und begann, ihrem Weg zu folgen.
Als er hinter sie zeigte, drehte sie sich um. Eins der Wesen hatte begonnen, sich auf sie zuzubewegen. Es schien beinahe über die Felsen zu gleiten, wenn auch etwas ruckartig.
Shanera fluchte und kletterte weiter. Sie versuchte, die Kreatur oberhalb zu umgehen, doch der Fels wurde immer steiler und sie näherte sich dem Überhang. Sie prüfte, ob ihr Messer griffbereit war – sie hatte es im Vorraum wieder aufnehmen können – und kletterte abwärts. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Koras sich bemühte, möglichst schnell zu ihr zu kommen, er näherte sich auf einem tieferen Weg.
Als das Wesen nur noch wenige Schritte entfernt war, blieb sie an einer einigermaßen sicheren Stelle stehen und zog ihr Messer, während sie sich mit der linken Hand festhielt. Die Kreatur hatte eine ledrige, verwitterte und fleckige Haut und eine grob sternförmige, aber insgesamt sehr unregelmäßige Gestalt. Der größte Durchmesser war vielleicht eineinhalb Schritt, Sinnesorgane waren nicht erkennbar. Trotzdem krabbelte das Wesen zielgerichtet auf sie zu und hatte sie am Bein gepackt, bevor sie es verhindern konnte.
Shanera versuchte, es abzuschütteln. Nach ihrer Erfahrung mit den Achtarmigen wollte sie keine übertriebene Gewalttätigkeit mehr riskieren. Doch als ihre Haut zu brennen begann wie aufgeschürft, gab sie ihre Zurückhaltung auf und stach mit dem Messer zu. Nur um festzustellen, dass die Lederhaut nicht nur hässlich, sondern auch kaum zu durchdringen war. Sie versuchte es an einer anderen Stelle, ohne Erfolg. Ihr Gegner saugte sich förmlich an ihrem Bein hoch, das inzwischen höllisch schmerzte.
Sie versuchte, mit dem Messer von unten her zu stoßen, einen Keil zwischen ihr Bein und den Fangarm zu treiben. Das zeigte mehr Wirkung. Als sie das Messer zwischen ihre Haut und den Angreifers geschoben hatte, ließ der Druck nach und die Extremitäten des Wesens zuckten zurück. Sie stach von unten in einen der Arme, der dort wesentlich weicher war, und die Kreatur flüchtete.
Einige andere waren allerdings schon nahe gekommen, aber ebenso Koras.
„Wir können nicht mit allen kämpfen!“, rief er ihr zu. „Es gibt zu viele.“
„Die Viecher sind wie Steinkriecher – nur größer und schneller!“, erwiderte sie und kletterte noch ein Stück weiter.
Koras musste ihr zustimmen. Steinkriecher hatten die Größe einer Hand, sahen wie Felsbuckel aus und schoben sich langsam über jeden steinigen Untergrund, immer auf der Suche nach essbarem.
Man konnte sie mit etwas Mühe vom Fels lösen, dann waren sie hilflos. Aber bei diesen Riesenexemplaren war das wohl kaum möglich.
Shanera verfolgte die gleichen Gedanken. Aber eines konnte möglicherweise helfen: Auch wenn die Steinkriecher gute Kletterer waren, so wagten sie sich doch kaum an Überhänge. Sie konnten sich dort zwar festsaugen, liefen aber bei Bewegungen Gefahr, abzustürzen.
Die Kintari spähte zur Höhle. Tatsächlich hielten sich die meisten der Riesenkriecher neben und unter dem Eingang auf, direkt darüber nur einzelne und am rückwärts geneigten Fels oberhalb überhaupt keine.
„Wir müssen von oben kommen!“, rief sie Koras zu und begann, ihre Kletterrichtung zu ändern.
Einige herzhafte Flüche verrieten, dass ihr Begleiter ihre Absicht erkannt hatte.
„Willst Du Dich umbringen?“
Shanera war auch nicht wohl bei dem Gedanken an die bevorstehende Kletterpartie, aber sie glaubte doch, gute Chancen zu haben. Der Fels war zerklüftet und konnte ihr genug Halt bieten. Sie machte so etwas nicht zum ersten Mal, auch wenn es nicht gerade ihre bevorzugte Art von Weg war. Leider war es durch den Wassernebel auch noch glitschig.
Die beiden Ysrens konnten natürlich nicht auf diesem Weg klettern. Sie musste ihnen andere Hilfe bringen.
„Hol das Seil!“ Sie gestikulierte in Richtung ihres Abstiegspunkts. Koras nickte und kletterte das kurze Stück zurück. Shanera arbeitete sich inzwischen so nah wie möglich an den Überhang vor, bis zu einem Punkt, an dem sie
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