Shanera (German Edition)
wieder an der rauen Wand ab.
Der Gang weitete sich nach kurzer Zeit zu einer ovalen Kammer auf, die vom Sonnenlicht teilweise erhellt wurde, da die Decke zur Hälfte eingestürzt war. Nach allen Richtungen zweigten weitere Tunnel ab. An den Wänden dazwischen standen groß und klar geschrieben, allerdings auch teilweise abgebröckelt, Zeichen in einer Schrift, die sie nicht lesen konnten.
„Zela, hast Du so etwas schon mal gesehen?“, fragte Shanera.
„Nein, tut mir leid. Das hat weder etwas mit der allgemeinen Schrift noch mit den religiösen Schriftzeichen zu tun.“
„Das deutet dann wohl darauf hin, dass das hier keine Kintari gebaut haben. Oder zumindest, dass es schon lange keinen Kontakt mehr zwischen uns und denen hier gegeben hat.“
„Wer weiß, wie lange es her ist, dass hier jemand gelebt hat. Das Ganze ist ein Geisterdorf.“
Shanera machte das Zeichen der Götter. Sie war nicht scharf darauf, hier irgendwelchen toten Seelen zu begegnen, die sich vielleicht in ihrer Ruhe gestört fühlten. Nach einem letzten ratlosen Blick auf die Schriftzeichen entschied sie sich für den mittleren Gang, der am breitesten zu sein schien, und ging vorsichtig weiter. Der Boden war von Schmutz und kleinen abgefallenen Steinbrocken bedeckt, aber ohne Probleme begehbar. Links und rechts zweigten kleinere Gänge ab, die aber nur schlecht oder überhaupt nicht beleuchtet waren. Der Tunnel, dem sie folgten, führte leicht abwärts und im Wesentlichen geradeaus. Sie mussten sich jetzt mitten unter dem großen Trümmerfeld der früheren Ansiedlung befinden.
Vor Ihnen lag nun ein weiterer großer Raum, eine vollständig erhaltene Kuppel, in deren Mitte sich Treppenstufen spiralförmig in die Höhe schraubten. Von einer Plattform auf halber Höhe schwangen sich Brücken zu hochgelegenen Türöffnungen in der gewölbten Wand, die offenbar in andere Gebäudeteile führten. Die Stufen gingen aber auch noch weiter nach oben und verschwanden in einer kreisrunden Öffnung in der Decke.
„In Ordnung, das ist gut.“, meinte Shanera. „Wir gehen da rauf. Von oben bekommt man vielleicht einen Überblick über das Gelände. Es gefällt mir nicht, hier unten ziellos herumzulaufen. Wer weiß, ob dieser Weg am anderen Ende überhaupt einen Ausgang hat.“
Tatsächlich gelangten sie nach dem Passieren der Deckenöffnung in eine weitere Kuppel, innerhalb derer es wiederum eine Plattform auf halber Höhe gab. Dort waren Fensteröffnungen in den Wänden. Der Ausblick war grandios.
Das Gewirr aus Kuppeln, Gängen und Verstrebungen erstreckte sich in alle Richtungen. Im Norden konnten sie den Felsabhang und die kleine Schlucht sehen, durch die sie gekommen waren. Nach Süden hin endete die Bebauung relativ bald an einer Stelle, wo das Gelände wieder stärker Richtung Tiefebene abfiel. Schließlich befanden sie sich immer noch auf einem Berg in beträchtlicher Höhe.
Doch es waren nur Ruinen zu sehen. Außer einigen auf den Dächern sitzenden Vögeln gab es kein Lebenszeichen, keinen Rauch, keine Fähnchen, keine aufgeräumten oder wiederaufgebauten Gebäude. Im Bereich der Bebauung war auch der Pflanzenbewuchs spärlich, hauptsächlich Flechten, verdorrte Büsche und Gräser.
„Wir sollten die Toten nicht länger stören.“, sagte Zela, nachdem sie eine Weile schweigend umhergeblickt hatten. „Lasst uns diesen Ort verlassen.“
„Wir sind doch gerade erst angekommen. Und ich habe bisher keine Toten gesehen.“, entgegnete Shanera.
„Aber sie sind hier. Das alles ist ein großes Grab. Warum wäre es sonst in diesem Zustand? Hier lebt bestimmt niemand mehr. Ich möchte nicht länger hier bleiben. Wir würden ihren Frieden verletzen!“
Shanera konnte sehen, dass ihre Freundin sehr beunruhigt war.
„Also gut. Keine Aufregung bitte. Wir gehen unten den Tunnel weiter Richtung Süden. Er wird dort schon wieder ans Tageslicht kommen und wir können das Gelände verlassen.“
+
Tatsächlich konnten sie bald helleres Licht vor sich sehen, nachdem sie dem Tunnel ein Stück weiter gefolgt waren. Shanera ging voraus, gefolgt von Zela. Koras war ein Stück zurückgeblieben und steckte seinen Kopf in jede Türöffnung und jeden Gang, an dem sie vorbeigingen. Doch die meisten Räume waren dunkel und zumindest auf einen kurzen Blick war nichts Interessantes zu sehen. Er wäre gerne noch ein bisschen länger geblieben, um in den Ruinen herumzustöbern, wollte aber Zela nicht gegen sich aufbringen.
Zumindest die einzige etwas hellere
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