Shanera (German Edition)
zeigte ihm ein weiteres Blättchen: „Rotgarbe. Man findet es an windgeschützten Plätzen.“ Er nickte und holte ein handflächengroßes, flaches Ding aus der Tasche, das er kurz auf das Blatt richtete. Shanera atmete scharf ein, als sie erkannte, worum es sich handelte. Eine Karte oder auf jeden Fall eine lebendige Schriftrolle, fast wie ihre!
Kessy hatte wieder den wissenden Blick. „Das kennst Du schon, oder? Obwohl es das bei Euch im Dorf sicher nicht gibt.“
„Na ja …“, verzögerte Shanera eine Antwort. Durfte sie ihnen davon erzählen? Aber sie schienen sie sowieso schon durchschaut zu haben.
Kessy kam ihr zuvor. „Wir wissen, dass Du ein …“, hier streikte die übersetzende Stimme, „… hast. Dadurch konnten wir Dich ja aufspüren. Aber wo hast Du es her?“
„Dadurch habt Ihr mich entdeckt? Hat es Euch gerufen oder wie?“
Der Mann mit den etwas dunkleren Haaren lachte. „So ähnlich.“
„Also … ich habe es gefunden. Ein Stück weit weg von hier, flussaufwärts.“ Shanera befürchtete, dass die Fremden von ihr die Karte zurück verlangen würden. Offenbar gehörte sie ihnen, wenn sie jederzeit ihren Aufenthaltsort feststellen konnten. Vermutlich ging das ähnlich wie die Anzeige der Boote auf dem Kartenbild.
Natürlich hatte sie auch keinen blassen Schimmer, wie das funktionierte. Sie kam sich langsam vor wie ein Schulmädchen, das ungewappnet vor einer Prüfung stand.
„Kannst Du uns das etwas genauer sagen? War es direkt am Fluss?“
„Eigentlich war es sogar im Fluss. Ich glaube, es war vor vier Tagen. Wir fuhren mit einem Floß und sind mitten auf dem Wasser mit einem seltsamen Gebilde zusammengestoßen. Dort war die Karte.“
„Im Fluss!“, wiederholte der Weißhaarige.
Kessy stellte fest: „Wenn das … unter Wasser war, hat es sich wohl abgeschaltet oder das Signal wurde gestört. Das erklärt, warum es nicht früher entdeckt und abgeholt oder gesperrt wurde.“
Der mit den dunkleren Haaren fing an: „Wir sollten nachfragen, ob es einen Absturz gab oder …“. Kessy unterbrach ihn mit einer Handbewegung. „Nicht jetzt.“ Sie nickte zu Shanera, woraufhin die anderen beiden schwiegen.
Shanera war weitgehend unklar, wovon die Fremden sprachen. Was hatten gestörte Signale mit einem Absturz zu tun? Und warum sollte etwas gesperrt werden? Hier gab es offenbar einiges, was sie nicht wusste.
„Sagt mal, würde es Euch etwas ausmachen, mir etwas mehr über Euch zu erzählen?“, fragte sie.
Der Weißhaarige antwortete: „Es wäre mir ein Vergnügen, Dir einiges zu erklären. Ich glaube, Du bist nicht so ignorant wie … einige andere. Aber es ist noch zu früh dafür und außerdem haben wir jetzt nicht so viel Zeit. Wir müssen zu den Verhandlungen.“
„Da stimmt.“, bestätigte Kessy. „Was machen wir jetzt mit Dir?“ Sie verzog das Gesicht. „Hör mal, allein wirst Du hier nicht weit kommen. In den bewohnten Teilen der Stadt wird man Dich sofort erwischen und wenn Deine Freunde wirklich hier gefangen sind, wirst Du sie allein nicht befreien können. Die Zellen hier sind nicht so einfach zu öffnen.“ Woher wusste sie das?
„Es wäre wohl am besten, Du kommst mit uns.“, fuhr sie fort. Diesmal wartete sie auf die stumme Bestätigung des Weißhaarigen. „Wir nehmen Dich unter unseren Schutz und vielleicht können wir in den Unterhandlungen etwas für Deine Freunde erreichen, falls sie hier sind.“
„Du willst sie mitnehmen?“, fragte der mit den dunkleren Haaren. „Also gut, was soll es. Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. Ich bin übrigens Noor.“
„Und ich bin Rey. Willkommen in der Gruppe der langwierigen, mühsamen und fruchtlosen Verhandlungen.“, meinte der Weißhaarige.
„Jetzt nimm ihr nicht gleich den Mut.“, warf Kessy ein. „Wir haben auch schon etwas erreicht.“
„Ja, dass wir die Verhandlungen fortsetzen dürfen.“, sagte Noor.
„Ihr Miesmacher.“
Die drei Bleichen lachten und auch Shanera erlaubte sich ein vorsichtiges Grinsen. Sie und die beiden Männer tauschten Handflächen-Begrüßungen aus. Es schien ihr das beste zu sein, die sich bietende Gelegenheit zu nutzen. Es war jedenfalls viel versprechender, als aufs Geratewohl herumzuirren und auf weitere glückliche Zufälle zu hoffen. Sie machten sich alle zusammen auf den Weg.
+
Zela war, nach einem längeren Fußmarsch in banger Stimmung, in einen großen Versammlungsraum gebracht worden. Dort hatten sich einige weitere Flussleute eingefunden, alles
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