Shanera (German Edition)
„Eine Verletzung unseres Gebietes ist ein erhebliches Vergehen und wird entsprechend bestraft.“ Er beugte sich vor und starrte sie an, Missachtung in seinem Blick.
Aus Unbehagen wurde Angst. Wie wollte man sie bestrafen? Sie hatte doch nichts getan und nichts Schlechtes beabsichtigt. Sie wollte sich verteidigen: „Wir haben nichts Böses im Sinn. Bitte entschuldigt, wenn wir etwas falsch gemacht haben. Es ist doch nichts …“
„Wir haben genug gehört.“ Der alte Mann schnitt ihr unwirsch das Wort ab. Als sie noch etwas sagen wollte, schlug er mit der Hand dröhnend auf den Metalltisch. „Genug!“
Zela verstummte und starrte ihn angstvoll an. In den Reihen der Umstehenden fand sich keiner, der ihr zu Hilfe eilen wollte. Einige blickten beinahe gelangweilt.
Der Alte zog eine der Schriftrollen zu sich. Er suchte eine Passage heraus und las sie dann laut in der Sprache vor, die Zela nicht verstand. Einer der Männer begann eine Entgegnung, doch der Alte winkte ab, noch bevor er zu Ende gesprochen hatte. Die anderen schwiegen. Lähmende Stille zog sich in die Länge.
Endlich beugte sich der links von dem Alten stehende Mann mit dem kurzen Kinnbart zum ihm hinüber und murmelte ihm etwas ins Ohr. Eine leise Diskussion zwischen den beiden schloss sich an, von der Zela nichts verstehen konnte.
Zuletzt erhob der Alte die Stimme und sprach wieder zu den anderen. Es folgte eine kurze Diskussion, doch dann verließen die meisten Anwesenden den Tisch und gingen aus dem Raum. Ihre beiden Wächtern ketteten sie mit den Handfesseln an eine der Absperrungen nahe dem Tisch. Dann gingen sie ebenfalls, und in dem großen Raum verblieben außer ihr nur noch der Alte und zwei andere Männer.
Die beiden waren wohl seine Berater, sie hatten zuvor gleich neben ihm gestanden. Ihre Schritte hallten, als sie um den Tisch herumgingen und sich vor Zela aufbauten.
„Was wollt Ihr von mir?“, brachte Zela schließlich heraus.
Diesmal sprach der Bärtige. „Es ist sehr interessant, dass Du die göttliche Sprache sprichst. Vielleicht kannst Du uns etwas über Euren … Tempel erzählen.“
Der zweite Berater fuhr fort: „Es scheint die Möglichkeit zu bestehen, dass Du uns helfen kannst.“
Zela glaubte, nicht recht zu hören. „Helfen? Ich soll Euch helfen?“
„Nicht alle, die hier leben, sind so überzeugt von der Allgegenwart und Wichtigkeit des Göttlichen wie wir und vielleicht auch Du. Wenn es sich zeigt, dass die göttlichen Lehren auch in Eurem fernen Land bekannt und geachtet sind, verleiht das unserer Botschaft neuen Nachdruck.“
Der Bärtige fügte nach einer kurzen Pause hinzu: „In diesem Fall könnten wir Gnade walten lassen und auf eine Bestrafung wegen Deiner Vergehen verzichten.“
Der Alte erhob das Wort: „Wenn Du unseren Glauben bestätigen kannst – und ich glaube, das kannst Du – dann kannst Du für ihn Zeugnis ablegen! Es ist sogar Deine Pflicht! Es muss allen gezeigt werden, dass nur der Weg des Göttlichen der Richtige ist. Viele Verblendete lassen sich verführen von der Narretei der weltlichen Dinge, des angeblichen Fortschritts und der scheinbaren Freiheiten. Verderbte Vergnügungen sind alles, was sie im Kopf haben.“ Offenbar brachte er diese Tirade nicht zum ersten Mal vor.
Mit gedämpfter Stimme fügte er hinzu: „Allein Deine Beherrschung der göttlichen Sprache als Abkömmling einer fremden Kultur ist Beleg genug, doch wirst Du sicher auch unsere Lehren bestätigen können. Wir haben schon von Deinem Volk gehört und ich denke, Ihr seid ähnlicher Ansicht wie wir. Außerdem willst Du sicher wieder dorthin zurück. Es wäre ein Jammer, wenn Du eine lange Zeit in unserem Gefängnis verbringen müsstest.“
Der Bärtige fügte hinzu: „Du siehst, es ist zu unserer beider Vorteil.“
Zunehmend irritiert hörte sich Zela dies an. Was war das für ein seltsames Ansinnen? Wollten diese Leute sie erpressen, damit sie – von allen Dingen! – ihre religiösen Ansichten unterstützte? Oder ihre politische Meinung, denn darum schien es wohl auch zu gehen. Sie war zwar in einem Dorf aufgewachsen und hatte nicht viel von der Welt gesehen, aber genug gelesen und die Augen offen gehalten. Sie war nicht so naiv, wie manche es vielleicht annahmen.
Die angedrohte Bestrafung für ihre angebliche Verletzung der Rechte des Flussvolks – war das nur eine Farce gewesen, um Druck aufzubauen? Vielleicht nicht, aber jedenfalls schienen die vorher so vehement vertretenen Belange der
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