Shannara I
leicht zu überzeugen. Er wurde das Gefühl nicht los, daß sie etwas Naheliegendes übersehen hatten.
Der Turm hing wie ein riesiger Schatten über dem offenen Schacht, das dunkle Gestein kalt und feucht, eine Massierung von Riesenblöcken, vor langen Zeitaltern aufeinandergetürmt und vom Zahn der Zeit kaum angenagt. Die große Tür am Treppenabsatz schien unbeweglich zu sein, die Oberfläche narbig, die Eisenbänder so stark wie am Tag ihrer Einbettung in das Gestein. Große, eiserne, in den Stein getriebene Pflöcke sicherten die Scharniere, und den fünf Männern erschien es, als könne nichts Geringeres denn ein Erdbeben den mächtigen Steinklotz überhaupt in Bewegung setzen. Balinor näherte sich vorsichtig dem massiven Hindernis und fuhr mit den Händen über die Fugen, auf der Suche nach einem verborgenen Öffnungsmechanismus. Vorsichtig drehte er die Eisenklinke nach unten und drückte dagegen. Zur Verblüffung aller öffnete sich die Steinplatte knirschend ein Stück. Einen Augenblick später war das Rätsel des Turmes offenbar, als die Tür ganz aufging und krachend an die Innenwand schlug.
Genau in der Mitte der runden Kammer, in die polierte schwarze Oberfläche des riesigen Tre-Stein-Blocks eingelassen, mit der Klingenspitze nach unten, so daß es sich vor ihnen wie ein leuchtendes Kreuz aus Silber und Gold erhob, sahen sie das legendäre Schwert von Shannara. Die lange Klinge blitzte grell im Sonnenlicht, das durch die hohen, vergitterten Fenster des Turmes strömte, und spiegelte sich in der glatten Fläche des würfelförmigen Steins. Keiner der fünf hatte das Schwert zuvor je gesehen, aber augenblicklich wußten sie alle, daß sie es endlich vor sich hatten. Einen Augenblick lang blieben sie unter der Tür stehen und rissen vor Staunen die Augen auf, unfähig fast, zu glauben, daß sie nach all ihren Anstrengungen, den endlosen Märschen, den elenden Tagen und Nächten des Versteckens endlich den uralten Talisman vor sich hatten, den zu finden sie alles aufs Spiel gesetzt hatten. Das Schwert von Shannara gehörte ihnen! Sie hatten den Dämonen-Lord übertölpelt! Langsam traten sie hintereinander in die Steinkammer, lächelnden Gesichts, vergessen waren Müdigkeit, die Wunden und die Schmerzen. Sie standen lange da und starrten es an, stumm, staunend, dankbar. Sie konnten sich noch nicht überwinden, vorzutreten und den Schatz aus dem Stein zu ziehen. Er schien für sterbliche Hände zu heilig. Aber Allanon war vermißt, Shea verloren, und wo…
»Wo ist eigentlich Flick?« fragte Dayel plötzlich. Zum ersten Mal wurden sie gewahr, daß er fehlte. Sie schauten sich um, starrten einander dumpf an. Menion, der sich wieder dem schimmernden Schwert zuwandte, sah auf einmal das Unmögliche wahr werden. Der Riesenblock Tre-Stein und sein kostbarer Schatz begannen zu schillern und vor seinen fassungslosen Augen zu verblassen. Es dauerte nur Sekunden, bis das ganze Bild in Rauch, dann in Dunst und endlich in Luft aufgegangen war und die fünf Männer allein in einem leeren Raum standen.
»Eine Falle! Die dritte Falle!« brüllte Menion, der sich als erster von seinem Schock erholte.
Aber hinter sich hörte er bereits die riesige Steinplatte zufallen, knarrend und ächzend, als die rostigen Angeln unter dem ungeheuren Gewicht nachgaben. Der Hochländer hechtete durch den Raum und krachte an die Tür, gerade als sie zuklappte und das Schloß mit einem scharfen Knacken einrastete. Er brach auf dem ausgetretenen Steinboden zusammen, und sein Herz hämmerte vor Zorn und Verzweiflung. Die anderen hatten sich nicht gerührt, sondern standen in tiefster Niedergeschlagenheit da und starrten auf die schlanke Gestalt bei der Tür. Das leise, aber unverwechselbare Geräusch dumpfen Gelächters hallte unablässig von den kalten Wänden wider, verhöhnte sie ob ihres Narrentums und ihrer bitteren, unausweichlichen Niederlage.
Kapitel 17
Die freudlose Kälte des Nordlandhimmels hing in dünnen Streifen grauen Nebels vor den stumpfen Rändern des schwarz aufragenden Berges, den die Burg des Dämonen-Lords darstellte. Ober- und unterhalb der Ebene ringsum, des Totenschädelreichs, standen wie rostige Sägezähne die Spitzen des Rasiermessergebirges und der Klingenkante, einer undurchdringlichen Barriere für sterbliches Leben. Zwischen ihnen erhob sich der sterbende Berg des Geister-Lords, vergessen von der Natur, vernachlässigt von den Jahreszeiten, langsam verfallend. Das Leichentuch, das die hohen Schroffen
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