Shannara I
führte, aber endlich blieb sie stehen und wies mit hastigen Bewegungen auf ein kleines Schiff, das am Ufer lag. Der Hochländer schnallte eilig das Schwert auf den Rücken, dann legten die beiden ab. Der Fluß war eisig kalt, und Menion spürte, wie die Kälte von der Gischt, der über das Boot hinwegspritzte, bis ins Mark drang. Er ruderte wild gegen die starke Strömung an, die sie mit ungeheurer Kraft flußabwärts riß, so daß das Boot sich mehrmals um die eigene Achse drehte. Es war ein unbarmherziger, grausamer Kampf zwischen Strom und Mensch, der endlos zu sein schien, und in Menions Gehirn begann alles zu verschwimmen.
Was am Ende geschah, wurde ihm nie völlig klar. Er nahm dumpf wahr, daß Hände ihn vom Boot auf ein grasbewachsenes Ufer hoben, wo er zusammenbrach. Er hörte die sanfte Stimme des Mädchens, dann wurde es schwarz um ihn. Er schwamm in Dunkelheit und wieder hinaus, geplagt von einem Gefühl der Gefahr, das ihn bedrängte und hochtreiben wollte, aber sein Körper konnte nicht reagieren, und schließlich verfiel er in einen tiefen Schlaf.
Als er wach wurde, war es draußen noch hell, und der Regen fiel gleichmäßig von einem grauen Himmel. Er lag in der Wärme und Behaglichkeit eines Bettes, trocken und ausgeruht, die zerschundenen Füße gesäubert und verbunden. Der Regen trommelte friedlich an die Fenster. Menion schaute sich in der schön eingerichteten Kammer um und begriff schnell, daß das nicht das Heim eines Durchschnittsbürgers war, sondern eine königliche Behausung. Die Täfelung trug Abzeichen und Wappen, die den Königen von Callahorn gehörten, wie Menion wußte. Er lag ruhig da und ließ den Blick durch das Zimmer gleiten, während er spürte, wie seine Kraft zurückkehrte. Er sah auf einem Stuhl trockene Kleidung liegen und wollte gerade aufstehen, um sich anzuziehen, als die Tür aufging und eine alte Dienerin mit einem Tablett voll dampfender Speise hereinkam. Sie nickte höflich und lächelte, eilte mit dem Tablett ans Bett, um es dem Hochländer vorzusetzen, stützte seinen Rücken mit Kissen und drängte ihn, zu essen, solange noch alles heiß sei. Sie erinnerte Menion beinahe an seine eigene Mutter, eine gütige, treusorgende Frau, die in seinem zwölften Lebensjahr gestorben war. Die Dienerin wartete, bis er den ersten Bissen zu sich genommen hatte, dann verließ sie das Zimmer und schloß leise die Tür hinter sich.
Menion aß langsam, genoß die wohlschmeckenden Speisen und fühlte sich wieder kräftiger werden. Erst als er halb fertig war, fiel ihm ein, daß er seit über vierundzwanzig Stunden nichts gegessen hatte - oder vielleicht noch länger. Er starrte wieder durch das Fenster auf den Regen und konnte nicht einmal sagen, ob es noch derselbe Tag war. Es mochte schon der nächste sein…
Blitzartig fiel ihm ein, weshalb er nach Kern gekommen war - um die Stadt vor der Invasion durch die Nordland-Armee zu warnen. Es mochte schon zu spät sein. Er war bei dem Gedanken erstarrt, die Gabel vor dem Mund, als die Tür ein zweitesmal aufging. Es war die junge Frau, die er gerettet hatte, erholt und frisch, in einem fließenden, langen Gewand von satten Farben, die langen, roten Flechten gekämmt und schimmernd sogar im grauen Licht des regnerischen Tages. Sie war bei weitem die schönste Frau, der Menion je begegnet war. Er bemerkte die erhobene Gabel, ließ sie sinken und lächelte. Sie schloß die Tür hinter sich und trat an sein Bett. Unfaßbar schön, dachte er wieder. Weshalb war sie entführt worden? Was mochte Balinor über sie wissen - welche Antworten konnte er geben? Sie betrachtete ihn mit ihren klaren, ruhigen Augen.
»Ihr seht sehr gesund aus, Prinz von Leah«, sagte sie lächelnd. »Der Schlaf und das Essen haben Euch gut getan.«
»Woher wißt Ihr…?«
»Euer Schwert trägt die Abzeichen des Königs von Leah, so viel weiß ich. Wer anderer als sein Sohn würde eine solche Waffe tragen? Aber Euren Namen weiß ich nicht.«
»Menion«, erwiderte der Prinz, ein wenig verwundert über die Kenntnisse des Mädchens.
Die junge Frau streckte eine schmale, gebräunte Hand aus, um die seine zu drücken.
»Ich bin Shirl Ravenlock, und das ist meine Heimat, Menion - die Inselstadt Kern. Ohne Eure Tapferkeit hätte ich sie nie wiedergesehen. Dafür werde ich Euch ewig dankbar und in Freundschaft verbunden sein. Und nun eßt weiter, während wir uns unterhalten.« Sie setzte sich zu ihm ans Bett. Wieder hob er die Gabel, aber das löste die Erinnerung in
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