Shannara I
wollen, und die Überreste der Unglücklichen lagen nun in der Tiefe. Die drei Reisenden standen am Ufer und starrten entsetzt auf den grausigen Sumpf. Besonders Menion schauderte.
»Was ist geschehen?« rief Shea plötzlich. »Wir hätten den Sumpf doch meiden sollen!«
Menion schaute sich um und schüttelte den Kopf.
»Wir sind zu weit im Westen herausgekommen. Wir müssen um den Morast herumgehen nach Osten, bis wir den Nebel und die Schwarzen Eichen hinter uns haben.« Er machte eine Pause, um die ageszeit festzustellen.
»Ich verbringe die Nacht nicht an diesem Ort«, erklärte Flick entschieden. »Lieber laufe ich noch, bis ich umfalle.«
Sie beschlossen, am Rand des Nebelsumpfes weiterzugehen, bis sie offenes Land im Westen erreichen würden, und dort zu nächtigen. Shea sorgte sich zwar immer noch, in ungedecktem Gelände von den Schädelträgern entdeckt zu werden, aber seine Angst vor dem Sumpf überwog. Sie zogen das Seil um ihre Hüften fester und gingen hintereinander am unregelmäßigen Sumpfufer entlang, den Blick auf den kaum erkennbaren Pfad gerichtet. Menion führte sie mit Bedacht und mied das Gewirr heimtückischer Wurzeln und Pflanzen, deren verkrümmte und bizarre Formen sie in der Verschwommenheit des wogenden grauen Nebels wie Lebewesen erscheinen ließen. Manchmal wurde der Boden glitschig-weich, gefährlich wie der Sumpf selbst, und man mußte einen Umweg machen. Ein andermal versperrten riesige Bäume den Weg, deren starke Äste sich tief über das grün-schillernde Wasser neigten und wie leblos herabhingen, als warteten sie auf den Tod. Wenn das Tiefland von Clete ein sterbendes Land gewesen war, dann stellte dieser Sumpf den wartenden Tod dar - einen endlosen, alterslosen Tod, der kein Zeichen gab, keine Warnung, keine Regung erkennen ließ, geduckt in eben dem Land lauernd, das er so brutal zerstört hatte. Die eisige Feuchtigkeit des Tieflands herrschte auch hier, aber verbunden mit dem unerklärlichen Gefühl, daß das schwere, stehende Wasser des schleimigen Morasts auch den Nebel durchdrang und gierig nach den erschöpften Wanderern griff. Der Nebel umwallte sie träge, aber von Wind war nichts zu merken, kein Lufthauch fuhr durch das hohe Sumpfgras oder die mächtigen Eichen. Alles war still, eine Stille des ewigen Todes, der sehr wohl wußte, wer hier der Herr war.
Sie waren vielleicht eine Stunde gegangen, als Shea spürte, daß etwas nicht mehr stimmte. Es gab keinen Anlaß für diese Empfindung; sie erfaßte ihn langsam, bis alle Sinne angespannt waren und versuchten, den Ursprung der Störung zu finden. Er ging stumm zwischen den beiden anderen dahin und lauschte aufmerksam, starrte zwischen den großen Eichen in den Wald, dann auf den Sumpf hinaus. Schließlich stand für ihn fest, daß sie nicht allein waren - daß dort draußen im Unsichtbaren etwas lauerte, verborgen im Nebel, aber fähig, sie zu beobachten. Einen Augenblick lang war der junge Talbewohner so entsetzt, daß er keines Wortes fähig war und nicht einmal eine Geste zustande brachte. Er lief automatisch weiter, das Gehirn wie gelähmt, und wartete auf das Unaussprechliche. Aber dann bezwang er mit ungeheurer Willensanstrengung seine Panik und brachte die beiden anderen Männer abrupt zum Stehen.
Menion schaute sich fragend um und wollte etwas sagen, aber Shea legte den Finger an die Lippen und zeigte auf den Sumpf. Flick blickte schon wachsam in diese Richtung, da ihn sein sechster Sinn bereits auf die innere Unruhe seines Bruders aufmerksam gemacht hatte. Lange Augenblicke standen sie regungslos am Ufer, Augen und Ohren auf die undurchdringlichen Nebel gerichtet, die träge über dem toten Wasser schwebten. Die Stille war bedrückend.
»Ich glaube, du hast dich geirrt«, flüsterte Menion schließlich. »Wenn man so müde ist, bildet man sich manches ein.«
Shea schüttelte den Kopf und sah Flick an.
»Ich weiß nicht«, gestand dieser. »Ich dachte, ich hätte auch etwas erfühlt…«
»Ein Nebelgespenst?« fragte Menion grinsend.
»Vielleicht hast du recht«, räumte Shea ein. »Ich bin todmüde und habe mich möglicherweise täuschen lassen. Gehen wir weiter, damit wir von hier fortkommen.«
Sie machten sich schleunigst wieder auf den Weg, aber in den folgenden Minuten achteten sie immer noch auf alles Ungewöhnliche. Als nichts geschah, hingen sie anderen Gedanken nach. Shea hatte sich eben eingeredet, daß er einem Irrtum erlegen und seiner überreizten Phantasie zum Opfer gefallen war, als
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