Shannara II
nicht wenn du ihr das gibst, was sie haben will. Nachdem, was du mir von Hebel erzählt hast, glaube ich nicht mehr daran.«
Er schwieg bedrückt einen Moment.
»Ich weiß. Aber vielleicht können wir mit ihr feilschen. Sie würde bestimmt alles tun, um in den Besitz der Steine zu kommen…« Plötzlich brach er ab und lauschte. »Pscht, da kommt jemand.«
Stumm spähten sie durch das Eisengitter vor der Zelle in die Finsternis des Korridors hinaus. Von der Treppe her kam ein leichtes Scharren. Dann tauchte eine Gestalt im Lichtschein auf. Es war Wisp.
»Etwas zu essen«, verkündete er strahlend und hielt ihnen eine Platte mit Brot und Früchten hin. Eilig trippelte er zu ihrer Zelle und schob die Platte durch eine schmale Öffnung am unteren Ende der Gittertür.
»Gutes Essen«, sagte er und wandte sich schnell ab, um wieder zu gehen.
»Wisp!« rief Wil ihm nach. Der kleine Irrwisch drehte sich um und sah den Talbewohner fragend an. »Kannst du nicht ein bißchen bleiben und mit uns sprechen?« fragte Wil.
Das alte Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.
»Ja, Wisp spricht gern mit euch.«
Wil warf einen Blick auf Amberle.
»Was macht dein Knöchel - kannst du laufen?«
Sie nickte. »Es ist viel besser«, antwortete sie.
Er nahm sie bei der Hand und führte sie zu der Platte mit dem Essen. Schweigend setzten sie sich nieder. Wisp hockte sich auf die unterste Stufe der Treppe und neigte seinen Kopf zur Seite. Wil nahm sich ein Stück Brot, kaute und nickte beifällig.
»Sehr gut, Wisp.«
Der kleine Bursche grinste. »Sehr gut.«
Wil lächelte. »Wie lange bist du schon hier, Wisp?«
»Lange. Wisp dient der Dame.«
»Hat die Dame dich gemacht - wie sie die Holzmänner gemacht hat?«
Der kleine Irrwisch lachte.
»Holzmänner - klick, klack. Wisp dient der Dame - aber nicht aus Holz gemacht.« Seine Augen leuchteten auf. »Elf wie du.«
Wil war erstaunt. »Aber du bist so klein. Und weshalb bist du so behaart?« Er deutete erst auf seine eigenen Arme und Beine, dann auf die von Wisp. »Hat sie das gemacht?«
Der kleine Elf nickte glücklich.
»Niedlich, hat sie gesagt. Da sieht Wisp niedlich aus. Da kann er mit den Stockmännern herumtollen und spielen. Niedlich.« Er hielt inne und spähte an ihnen vorbei zu Eretria, die immer noch schlief. »Hübsches Ding.« Er wies mit dem Finger zu ihr hin. »Die Hübscheste von allen.«
»Was weißt du über Morag?« fragte Wil, ohne auf Wisps offenkundiges Interesse an Eretria einzugehen.
Wisps altes Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse.
»Bös ist Morag. Sehr bös. Eine lange Zeit lebt sie schon in der Senke, alle beide, sie und die Dame. Sie sind Schwestern. Morag im Osten, die Dame im Westen. Beide haben Holzmännchen, aber nur die Dame hat Wisp.«
»Verlassen sie jemals die Senke - Morag und die Dame?«
Wisp schüttelte den Kopf. »Nie.«
»Warum nicht?«
»Außerhalb der Senke keine Zauberkraft.« Wisp grinste verschlagen.
Das verriet Wil etwas, was er nicht vermutet hatte. Die Macht der Hexenschwestern hatte ihre Grenzen; sie reichte über die Senke nicht hinaus. Das erklärte, warum niemals jemand ihnen irgendwo im Westland begegnet war. Er schöpfte neue Hoffnung. Wenn er ein Mittel finden konnte, um aus der Senke herauszukommen…
»Warum haßt die Dame Morag so sehr?« fragte Amberle.
Wisp überlegte. »Vor langer, langer Zeit war da einmal ein Mann. Schön war er, hat die Dame gesagt. Die Dame wollte ihn für sich haben. Morag wollte ihn für sich haben. Jede wollte den Mann haben. Der Mann -« Er verklammerte die Finger seiner beiden kleinen Hände ineinander und riß sie dann mit Gewalt auseinander. »Fort war er. Tot.« Er schüttelte den Kopf. »Morag tötete den Mann. Böse Morag.«
Böse Mallenroh, dachte Wil. Damit war jedenfalls klar, wie die Hexenschwestern zueinander standen. Er beschloß herauszufinden, was Wisp sonst noch über die Senke wußte.
»Gehst du jemals aus dem Turm heraus, Wisp?« fragte er.
Das alte Gesicht verzog sich wiederum zu einem Grinsen. Es war ein Grinsen des Stolzes.
»Wisp dient der Dame.«
Wil faßte das als eine bejahende Antwort auf.
»Warst du schon mal bei der Hochwarte?« fragte er.
»Sichermal«, antwortete Wisp sogleich.
Darauf folgte ein plötzliches Schweigen. Amberle faßte Wil am Arm und warf ihm einen raschen Blick zu. Wil war so verblüfft über diese Erwiderung, daß er einen Moment lang sprachlos war. Als er sich wieder gefaßt hatte, beugte er sich vor und winkte mit
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