Shannara II
neuen Welt sich ereignet hatte. Er schilderte mir, wie die alte Welt gewesen war, obwohl sein Gedächtnis manchmal versagte, wenn er allzuweit zurückgriff. Manches von dem, was er mir berichtete, verstand ich nicht. Aber ich verstand vieles. Ich begriff, was er mir über das Wachstum lebendiger Wesen sagte, über die Pflege von Pflanzen und Tieren. Das war sein Geschenk an mich, die Fähigkeit, die Dinge zum Wachsen zu bringen. Es war ein wunderschönes Geschenk. Und die Gespräche waren zauberisch - allein die Möglichkeit, von all diesen wundersamen Dingen zu hören.
So war es am Anfang. Da hatte ich meinen Dienst gerade erst aufgenommen, und die Gespräche waren so neu und aufregend, daß ich das, was geschah, fraglos hinnahm. Bald aber entwickelte sich etwas sehr Unangenehmes. Das wird sich vielleicht merkwürdig anhören, Wil, aber ich fing an, mich in den Baum zu verlieren. Ich verlor allmählich alles Gefühl dafür, wer ich war. Ich war nicht mehr ich; ich war ein Teil des Ellcrys. Ich weiß bis heute nicht, ob das von ihm gewollt war, oder ob es nur das natürliche Ergebnis unserer nahen Beziehung war. Damals hielt ich es für gewollt. Ich bekam Angst vor dem, was mir da geschah - und dann wurde ich sehr zornig. Wurde von mir als Erwählte erwartet, auf meine eigene Persönlichkeit, meine eigene Identität zu verzichten, um die Bedürfnisse des Baumes befriedigen zu können? Ich hatte den Eindruck, daß der Ellcrys mit mir spielte; daß er mich benutzte. Aber ich täuschte mich.
Die anderen Erwählten begannen die Veränderung an mir zu sehen. Allmählich kam ihnen, glaube ich, der Verdacht, daß an meiner Beziehung zu dem Ellcrys etwas anders und besonders war. Ich spürte, wie sie mich mieden; ich spürte, wie sie mich beobachteten. Und die ganze Zeit verlor ich mich immer mehr an den Ellcrys - jeden Tag war wieder ein Stück von mir entschwunden. Ich war entschlossen, dem ein Ende zu machen. Ich fing an, den Baum zu meiden, wie die anderen Erwählten mich mieden.
Ich weigerte mich, zu ihm zu gehen, wenn er darum bat; ich sandte einen anderen an meiner Statt. Als er mich fragte, was nicht in Ordnung sei, erklärte ich es ihm nicht. Ich hatte Angst vor ihm; ich schämte mich; ich war voller Zorn auf die ganze Situation.«
Ihr Mund wurde schmal und bitter.
»Schließlich kam ich zu dem Schluß, das wahre Problem läge darin, daß ich nicht dafür geschaffen war, eine Erwählte zu sein. Ich schien mir nicht in der Lage, mit der Verantwortung fertigzuwerden oder zu begreifen, was von mir erwartet wurde. Der Ellcrys hatte für mich etwas getan, was er für keinen anderen Erwählten getan hatte - etwas Wunderbares, Herrliches - ich konnte es nicht annehmen. Ich fand es unrecht, wie ich reagierte; ich war der Meinung, daß keiner der anderen so reagiert hätte. Und ich kam zu dem Schluß, daß meine Berufung zur Erwählten ein Irrtum gewesen war.
Da ging ich, Wil, kaum einen Monat nach meiner Erwählung. Ich sagte meiner Mutter und meinem Großvater, daß ich fortgehen würde, daß ich dem Ellcrys nicht länger dienen könne. Ich sagte ihnen nicht, warum. Das brachte ich nicht über mich. Als Erwählte zu versagen, war schlimm genug. Aber zu versagen, weil der Baum Forderungen an mich stellte, die jeder andere mit Freuden erfüllt hätte - nein. Vor mir selber konnte ich zugeben, was zwischen dem Ellcrys und mir geschehen war, aber keinem anderen konnte ich es bekennen. Meine Mutter schien zu verstehen. Mein Großvater nicht. Es gab harte Worte zwischen uns, die Bitterkeit in uns beiden zurückließ. Mit Schimpf und Schande beladen in meinen eigenen Augen und in den Augen der anderen ging ich aus Arborlon fort, fest entschlossen, nie wieder zurückzukehren. Ich leistete den Elfeneid zum Dienst in fremdem Land; ich wollte mich in einem der anderen Länder niederlassen und die Leute dort das lehren, was ich über die Pflege und Erhaltung der Erde und des Lebens wußte. Ich wanderte, bis ich Havenstead fand. Das Dorf wurde mein Zuhause.«
Tränen schimmerten jetzt in ihren Augen.
»Aber ich habe mich getäuscht. Das kann ich jetzt sagen - ich muß es jetzt sagen. Ich bin vor einer Verantwortung davongelaufen, die mir bestimmt war. Ich bin vor meinen Ängsten davongelaufen. Ich enttäuschte alle, und letzten Endes ließ ich meine Miterwählten zurück, um ohne mich zu sterben.«
»Du beurteilst dich zu hart«, widersprach Wil.
»Meinst du?« Sie verzog den Mund. »Ich fürchte, ich beurteile mich selbst
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