Shannara III
Gnomen erinnern, als sie begriffen hatte, daß er durch das Wünschlied vernichtet worden war. Sie hatte sich diesen einen Augenblick lang der Macht der Magie hingegeben…
Zu welchem Ungeheuer entwickelte sie sich nur?
Sie riß die Augen auf. Sie hatte sich zu nichts entwickelt. Der Finsterweiher hatte recht: Nicht du hast die Magie gebraucht, sondern sie dich. Die Magie stellt mit dir an, was sie will. Brin beherrschte sie nicht vollständig. Das hatte sie bereits auf der Rooker-Handelsstation bei der Begegnung mit den Männern vom westlichen Bogengrat festgestellt und sich damals geschworen, daß sie nie wieder derartig die Gewalt über die Zauberkunst verlieren würde. Doch als der Spinnengnom bei ihrer Flucht durch das Lager über sie hergefallen war, hatte sich die Kontrolle, die sie hatte ausüben wollen, schnell in der Flut ihrer Gefühle, in ihrer Verwirrung und der Dringlichkeit des Augenblicks verflüchtigt. Sie hatte in Wirklichkeit die Magie ohne alle Geistesgegenwart benutzt, hatte nur reagiert und die Macht eingesetzt wie Rone Leah sein Schwert, als schreckliche, vernichtende Waffe.
Und sie hatte es genossen.
Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln. Sie konnte anführen, daß der Genuß nur eine Sache des Augenblicks und von Schuldgefühl begleitet war und ihr Entsetzen darüber verhindern würde, daß es wieder vorkäme. Doch sie konnte sich nicht an der Wahrheit vorbeimogeln. Die Magie hatte sich als gefährlich unberechenbar erwiesen. Sie hatte ihr Verhalten auf eine Weise beeinflußt, wie sie es nicht für möglich gehalten hätte. Somit wurde sie zu einer Bedrohung nicht nur für sich selbst, sondern auch für jene, die ihr nahestanden, und sie mußte sich sorgsam davor hüten.
Sie wußte, daß sie ihre Reise ostwärts in den Maelmord nicht abbrechen konnte. Allanon hatte ihr Vertrauen geschenkt, und ihr war klar, daß sie trotz allem, was geschehen war, und allem, was dagegen sprach, diesem Vertrauen Rechnung tragen mußte. Selbst in diesem Augenblick war sie davon überzeugt. War sie auch durch die Einsicht in die Notwendigkeit gebunden, so konnte sie doch über ihren persönlichen Stil entscheiden. Allanon hatte beabsichtigt, daß sie das Wünschlied nur zu einem einzigen Zweck singen sollte - nämlich, um sich Zutritt zu der Grube zu verschaffen. Also mußte sie eine Möglichkeit finden, die Zauberkraft bei sich zu behalten, bis die Zeit gekommen war, sich ihrer zu diesem bestimmten Zweck zu bedienen. Nur noch einmal wollte sie es wagen, die Magie einzusetzen. Fest entschlossen wischte sie die Tränen aus ihren Augen. Es sollte sein, wie sie es sich gelobt hatte. Die Zauberkraft sollte nicht mehr sie benutzen.
Sie richtete sich auf. Nun mußte sie den Weg zurück zu den anderen suchen. Sie stolperte weiter, tastete sich durchs Dunkel und war sich nicht sicher, welche Richtung sie einschlagen mußte. Nebelfetzen zogen an ihr vorüber, und sie war überrascht, in deren kreisenden Bewegungen Konturen zu erkennen. Sie scharten sich um sie, drängten aus dem Schleier in ihr Denken und verflüchtigten sich wieder. Die Bilder begannen Gestalten und Formen von Erinnerungen aus ihrer Kindheit anzunehmen. Ihre Mutter und ihr Vater zogen an ihr vorüber und wirkten in der Erinnerung größer als im wirklichen Leben mit der Wärme und Sicherheit, die sie vermittelten, und den sanften Händen, die Schutz und Liebe gaben. Jair war da. Schatten schlüpften durchs seltsame, menschenleere Zwielicht, Geister aus der Vergangenheit. Allanon konnte einer jener Geister sein, die da vom Tod zu den Lebenden kamen. Sie schaute sich erwartungsvoll um…
Und plötzlich war er erschreckenderweise tatsächlich da. Er kam als der Schatten, der er nun war, aus dem Dunst und stand keine zehn Meter von ihr entfernt, dicht umhüllt von Nebel, der wie der zu Leben erwachte Hadeshorn Kreise zog.
»Allanon?« flüsterte sie.
Doch sie zögerte noch. Das war wohl Allanons Gestalt, aber es war der Nebel - nur der Nebel.
Der Schatten, der Allanon war, glitt zurück in die Dunkelheit - fort, als hätte er niemals existiert. Dahin…
Und doch war da etwas gewesen. Nicht Allanon, aber etwas anderes.
Schnell schaute sie sich um auf der Suche nach dem Ding, fühlte sie doch, daß es irgendwie da draußen war und sie beobachtete. Bilder tanzten erneut vor ihren Augen, die aus den Nebelfetzen entstanden und Widerspiegelungen ihrer Erinnerungen darstellten. Der Nebel verlieh ihnen Leben, einen berauschenden und verlockenden
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