Shannara III
festzunageln, indem er etwas so Scheußliches über sie hinwegkriechen ließ, daß sie an nichts anderes denken konnten, bis er seine Fußfesseln gelöst hätte, dann ein paar weitere Sekunden, um die Tonhöhe zu verändern, so daß sie ihn nicht mehr sehen konnten, und weg wäre er gewesen. Gefährlich, ja, aber er hätte es schaffen können - abgesehen natürlich davon, daß er sein Wort gebrochen hätte. Welche Rolle aber spielte dies einem Gnomen gegenüber?
Er seufzte. Irgendwie spielte es schon eine Rolle. Selbst einem Gnomen gegenüber war sein Wort sein Wort, und es besagte etwas, wenn er es gab. Jemandes Wort war eine Ehrensache. Es ließ sich nicht an günstige Gegebenheiten binden oder an- und ablegen wie Kleider, um sich Wetterumschlägen anzupassen. Falls er es nur einmal revidierte, öffnete das für hinterher einer Flut von Entschuldigungen Tür und Tor.
Außerdem war er sich nicht sicher, daß er das Spinkser hätte antun können, ob der nun ein Gnom war oder nicht. Es war eigentümlich, aber er hatte eine gewisse Anhänglichkeit zu dem Burschen entwickelt. Er hätte es nicht unbedingt als Zuneigung beschrieben. Achtung war eher das zutreffende Wort. Oder vielleicht sah er in dem Gnomen auch nur ein Stück von sich selbst, weil sie beide recht besondere Zeitgenossen waren. Jedenfalls glaubte er, daß er sich nicht dazu hätte überwinden können, Spinkser derartig übers Ohr zu hauen, nicht einmal um dem zu entgehen, was ihn erwarten mochte.
Er trat gegen die Blätter, die über den Weg fegten, als er weiter durch den finsteren Herbsttag schritt. Er vermutete, Rone Leah hätte an seiner Stelle einen Fluchtplan geschmiedet gehabt. Wahrscheinlich einen guten. Aber Jair hatte keine Ahnung, wie der hätte sein können.
Der Morgen verstrich. Mit dem Mittag setzte der Wind aus, doch die von ihm herangetragene Kälte hing noch in der Waldluft. Vor ihnen wurde das Gelände zerklüfteter, die Erde war aufgebrochen und steinig, als die Bergkette nach Süden hin abfiel und eine Reihe von Schluchten sich über ihren Weg spannte. Noch immer dehnte sich die Mauer der Eichen, reglose Giganten, blind gegenüber den Jahrhunderten, die an ihnen vorübergegangen waren. Gleichgültig gegenüber einem unbedeutenden Leben wie dem meinen, dachte Jair, als er an den hoch aufragenden Ungeheuern emporblickte. Sperren mich aus, daß ich nirgendwohin laufen kann.
Der Pfad wand sich eine steile Böschung hinab, und die Patrouille folgte seiner dunklen Spur. Dann wichen die Eichen einem einsamen Bestand von Kiefern und Fichten, die sich zwischen den schwarzen Stämmen dicht zusammendrängten und umstellt waren wie steifgefrorene, eingeschüchterte Gefangene. Die Gnomen schleppten sich mitten hinein und murrten gereizt, als scharfkantige Nadeln sie pikten und kratzten. Jair duckte den Kopf und folgte ihnen, und die langen Nadeln versetzten seinem Gesicht und seinen Händen beißende Peitschenhiebe.
Einen Augenblick später trat er aus dem Ästegewirr und stand auf einer weiten Lichtung. Am Grunde der Schlucht befand sich ein kleiner Teich, der von einem schmalen, aus den Felsen tröpfelnden Bach gespeist wurde.
Ein Mann stand an dem Teich.
Die Gnomen hielten unvermittelt und erschreckt an. Der Mann trank Wasser aus einem Zinnbecher und hielt den Kopf gesenkt. Er war ganz in Schwarz gekleidet: weites Hemd und Hosen, Waldmantel und Stiefel. Neben ihm auf dem Boden lag ein schwarzes Lederbündel. Daneben ruhte ein langer Holzstab. Selbst der Stock war schwarz, aus poliertem Walnußholz. Der Mann schaute kurz zu ihnen empor. Er sah wie ein gewöhnlicher Südländer aus, ein Reisender mit braunem, von Sonne und Wind zerfurchtem Gesicht, und sein helles Haar schimmerte fast silbrig. Kieselgraue Augen blinzelten einmal; dann wandte er den Blick fort. Er mochte einer der hundert Reisenden sein, die diesen Teil des Landes täglich durchwanderten. Doch von dem Augenblick an, da Jair den Mann bemerkt hatte, wußte er, daß er das nicht war.
Auch Spilk spürte, daß an diesem Mann etwas ungewöhnlich war. Der Sedt schaute schnell nach links und rechts zu den Gnomen, als wollte er sich versichern, daß sie neun gegen einen waren, dann blickte er zu Jair hin. Er war eindeutig aufgebracht, daß der Fremde ihren Gefangenen gesehen hatte. Er zögerte noch einen Augenblick, dann ging er weiter. Jair und die anderen folgten ihm.
Wortlos rückte die Patrouille zur anderen Seite des Teiches vor, ohne daß sie jemals ein Auge von dem Fremden
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