Shannara IV
derselben Sekunde schlang sich irgend etwas um seine Hand und packte ihn. Einen Augenblick spürte er einen unbeschreiblichen Schmerz und dann Taubheit. Er versuchte sich loszureißen, aber er konnte sich nicht bewegen. Panik erfüllte ihn. Noch immer konnte er nicht sehen, was sich in dem Loch befand.
In seiner Verzweiflung gebrauchte er die Magie, beschwor mit seiner freien Hand Licht und schickte es rasch in das Loch.
Das, was er sah, erfüllte ihn mit eisiger Kälte. Er sah keinen Elfenstein. Statt dessen hatte sich eine Schlange seiner Hand bemächtigt. Aber es handelte sich um keine gewöhnliche Schlange. Er erkannte, daß diese Schlange sehr viel gefährlicher war. Es war eine Asphinx, eine Kreatur aus uralter Zeit, die zur gleichen Zeit erschaffen worden war wie ihre riesigen Gegenstücke in den davor liegenden Höhlen, die Sphinxe. Aber die Asphinx war eine Kreatur aus Fleisch und Blut, die sich erst, wenn sie zugestoßen hatte, in Stein verwandelte. Und was sie berührte, verwandelte sich ebenfalls in Stein.
Walker Boh biß die Zähne zusammen. Seine Hand hatte sich bereits gräulich verfärbt, während die Asphinx sie immer noch eng umschlungen hielt, war tot und hart und mit dem Boden verbunden, von dem er sie nicht mehr losreißen konnte.
Er wehrte sich gegen die Kreatur mit all seinen Kräften. Aber es gab kein Entkommen. Er war im Stein gefangen, verbunden mit der Asphinx und dem Höhlenboden, als hielten ihn Ketten.
Angst erfaßte ihn, durchfuhr ihn gleich einem Messer, das sich in sein Fleisch bohrte. Er war vergiftet. Ebenso wie sich seine Hand in Stein verwandelte, würde sich der Rest seines Körpers in Stein verwandeln. Langsam. Unerbittlich.
Bis er eine steinerne Statue war.
Kapitel 29
Der Morgen brachte dem Zeigefinger einen Wetterumschwung, da der Sturm von Tyrsis nach Norden zum Parmakeil weiterwanderte. Es war noch dunkel, als die ersten Wolken am Himmel aufzogen und den Mond und die Sterne verdeckten. Dann legte sich der Wind. Ein paar Tropfen fielen auf die Gesichter der Wachen des Geächtetenlagers und wurden immer mehr. Dunstschwaden stiegen aus dem unterhalb liegenden Waldland auf. Als die Dämmerung anbrach, war aus dem anfänglichen Schauer ein anhaltender Regen geworden, der alle, selbst die Wachen, einen Unterschlupf suchen ließ.
Aus diesem Grund bemerkte niemand den Kriecher.
Er mußte den Wald im Schutz der Dunkelheit verlassen und sich auf den Weg nach oben gemacht haben. Das kratzende Geräusch, das er verursachte, während er kletterte, das Schaben seiner Klauen und seines Panzers, während er sich mühsam nach oben zog, all diese Geräusche wurden verschluckt vom fernen Donnergrollen, vom prasselnden Regen und den Bewegungen der Menschen und Tiere im Lager. Zudem waren die Wachen müde und der festen Überzeugung, daß sich vor dem Morgen nichts ereignen würde. Der Kriecher hatte die Anhöhe fast erreicht, bevor sie ihren Fehler erkannten und lauthals losschrien.
Die Schreie ließen Morgan aus dem Schlaf hochfahren. Er war in dem kleinen Espenwäldchen eingeschlafen, während er darüber nachgrübelte, wie er mit seinem Verdacht am besten umgehen konnte. Eingehüllt in seinen Jagdmantel, der ihn vor der Kälte schützte, lag er zusammengerollt unter den Wipfeln der Bäume. Seine verkrampften Muskeln schmerzten, so daß er nicht gleich stehen konnte. Doch aus den Schreien hörte er schon bald Panik und Todesangst. Er zwang sich aufzustehen, zog sein Breitschwert, das er auf dem Rücken trug, und stolperte in den Regen hinaus.
Auf der Anhöhe herrschte ein heilloses Chaos. Überall liefen Männer hin und her und griffen nach Waffen. Vereinzelt flackerten Fackeln auf, aber ihr Licht wurde vom Regen fast augenblicklich ausgelöscht. Mit den anderen eilte Morgan dahin, um die Ursache des wahnsinnigen Treibens auszumachen.
Und dann sah er ihn. Der Kriecher hatte die Anhöhe erklommen, war aus dem Abgrund emporgestiegen und erhob sich jetzt drohend über der Festung der Geächteten, während sich seine Klauen in den Fels eingruben, an dem er sich festhielt.
Leichtfertig drängten die Geächteten nach vorn, ergriffen Pfähle und Speere, um sie in den gewaltigen Körper des Monsters zu rammen. Doch der Kriecher war riesengroß; er ragte über ihnen wie eine riesige Mauer empor. Voll Entsetzen verlangsamte Morgan seine Schritte. Sie hätten ebenso gut versuchen können, den Lauf eines Flusses zu verändern. Kein Wesen von dieser Größe konnte allein mit menschlicher
Weitere Kostenlose Bücher