Shannara V
bist einen langen Weg gegangen, um uns zu finden, nicht wahr? Es muß eine sehr dringliche Suche gewesen sein, Wren. Hast du hier erfahren, was du herausfinden wolltest?«
»Einen Teil davon.«
Das hübsche Gesicht wurde ernst. »Deine Mutter Alleyne war jemand, den du sehr gemocht hättest. Ich weiß, daß die Königin dir von ihr erzählt hat, aber ich möchte dir auch etwas sagen. Sie hat mich in meiner Kindheit wie eine Schwester umsorgt. Wir standen uns sehr nahe. Sie war ein starkes und entschlossenes Mädchen, Wren - und das finde ich in dir wieder.«
Sie lächelte erneut. »Danke, Gavilan.«
»Es ist die Wahrheit.« Er stockte kurz. »Ich hoffe, du wirst an mich eher wie an einen Freund als wie an einen Cousin denken. Ich möchte dich wissen lassen, daß du gern zu mir kommen kannst, wenn du jemals etwas brauchen solltest oder etwas wissen willst. Ich werde glücklich sein, dir zu helfen, wenn ich kann.«
Wren zögerte. »Gavilan, könntest du meine Mutter für mich beschreiben? Könntest du mir sagen, wie sie aussah?«
Ihr Cousin zuckte die Achseln. »Das ist einfach. Alleyne war genauso klein wie du. Ihr Haar hatte die gleiche Farbe. Und ihre Stimme…« Er brach ab. »Schwer zu beschreiben. Sie war melodisch. Sie war intelligent, und sie lachte viel. Aber ich glaube, ich erinnere mich am besten an ihre Augen. Sie waren genau wie deine. Wenn sie dich ansah, hattest du das Gefühl, als gäbe es niemanden und nichts Wichtigeres auf der Welt.«
Wren dachte an den Traum, in dem sich ihre Mutter, die fast genauso ausgesehen hatte, wie Gavilan sie beschrieb, weit zu ihr hinübergebeugt und gesagt hatte: Erinnere dich an mich. Erinnere dich an mich. Jetzt schien es ihr kein Traum mehr zu sein. Sie spürte, daß es einmal, vor langer Zeit, so gewesen war.
»Wren?«
Sie merkte, daß sie vor sich hin starrte. Sie sah erneut Gavilan an und fragte sich plötzlich, ob sie ihn nach den Elfensteinen und nach den Dämonen fragen sollte. Er schien außerordentlich bereitwillig zu sein, mit ihr zu reden, und sie fühlte sich merkwürdig zu ihm hingezogen, was sie verwunderte. Aber sie kannte ihn noch nicht wirklich, und ihre Ausbildung als Fahrende machte sie vorsichtig.
»Dies sind schwierige Zeiten für Elfen«, sagte Gavilan plötzlich und beugte sich zu ihr. Wren sah, daß er seine Hände hob, um sie auf ihre Schultern zu legen. »Es gibt Geheimnisse der Magie, die…«
»Guten Tag, Wren«, begrüßte sie Eowen Cerise, die gerade die Treppe hochgeschritten kam. Gavilan wurde still. »Hat dir dein Spaziergang durch die Stadt gefallen?«
Wren wandte sich um und spürte, daß Gavilans Hand von ihr abglitt. »Ja. Die Eule war ein vorzüglicher Führer.«
Eowen kam näher, und ihre grünen Augen schweiften ab, um an Gavilan hängenzubleiben. »Wie gefällt dir deine Cousine, Gavilan?«
Der Elf lächelte. »Bezaubernd, willensstark - die Tochter ihrer Mutter.« Er sah Wren an. »Ich muß gehen. Ich habe vor dem Abendessen noch viel zu tun. Wir können uns dann unterhalten.«
Er nickte kurz und ging locker und zuversichtlich davon. Vielleicht ein wenig sorglos. Wren sah ihm nach und dachte, daß er mit seiner unbekümmerten Haltung eine Menge verbarg, daß aber das, was darunter lag, wahrscheinlich eher angenehm war.
Eowen begegnete ihrem Blick, als sie sich wieder umwandte. »Gavilan schafft es, daß wir uns alle immer wieder wie junge Mädchen fühlen.« Ihr flammend rotes Haar war mit einem Netz umhüllt, und sie trug jetzt ein anderes weites, blumenbesticktes Gewand. Ihr Lächeln war warm, aber ihre Augen schienen unverändert kühl und distanziert. »Ich glaube, wir lieben ihn alle.«
Wren errötete. »Ich kenne ihn noch nicht einmal.«
Eowen nickte. »Dann erzähl mir mal von deinem Spaziergang. Was hast du über die Stadt erfahren, Wren? Was hat Aurin Striate dir darüber erzählt?«
Sie gingen den Gang entlang auf Wrens Schlafzimmer zu und Wren erzählte Eowen, was die Eule gesagt hatte. Sie hoffte insgeheim, die Seherin würde im Gegenzug etwas ausplaudern. Aber Eowen hörte nur zu, nickte ermutigend und sagte nichts. Sie schien mit anderen Dingen beschäftigt zu sein, obwohl sie sehr genau darauf achtete, was Wren sagte, damit sie nicht den Faden verlor. Wren beendete ihren Bericht, als sie die Tür ihres Schlafraumes erreichten, und wandte sich um, so daß sie sich gegenüberstanden.
Ein Lächeln erschien auf Eowens ernstem Gesicht. »Du hast schon viel erfahren für jemanden, der noch keinen
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