Shannara VI
zweimal glaubte Morgan fast erkennen zu können, was es war, was sie für sich behielt, aber jedes Mal war die Wahrheit ihm wieder entglitten.
Auf jeden Fall fühlte er sich besser, nachdem er jetzt jemandem von Quickening erzählt hatte, nachdem er die Gefühle, die er seit seiner Rückkehr in sich verschlossen gehalten hatte, ein wenig freigelassen hatte. Er hatte danach gut geschlafen, denn eine traumlose Ruhe hatte ihn erfüllt, und er hatte sich in der Krümmung jenes alten Baumes geborgen gefühlt und war in der Lage gewesen, ein wenig von jenem Schmerz loszulassen, der ihn so viele Wochen lang verfolgt hatte.
Er hörte das Geräusch des Wasserlaufs vor sich. Ein leises Wogen vor der Stille. Er überquerte eine Lichtung, drang durch eine Wand aus Gestrüpp hindurch und sah plötzlich auf Matty Roh hinab.
Sie saß ihm gegenüber am Ufer des Wasserlaufs, ihre Hosen hochgerollt und die bloßen Füße im Wasser baumelnd. Im selben Moment, in dem er erschien, schrak sie zurück und griff nach ihren Stiefeln. Ihre Füße kamen wie ein Blitz weißer Haut aus dem Wasser hervor und verschwanden fast augenblicklich im Schatten ihres Körpers. Aber einen kleinen Moment lang hatte er sie deutlich gesehen. Sie waren schrecklich vernarbt, und die Zehen fehlten oder waren so stark verunstaltet, daß sie fast nicht zu erkennen waren. Ihr schwarzes Haar erschauerte durch die Heftigkeit ihrer Bewegungen im Licht, als sie ihr Gesicht von ihm abwandte.
»Seht mich nicht an«, flüsterte sie barsch.
Verlegen wandte er sich sofort ab. »Es tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Ich wußte nicht, daß Ihr hier seid.«
Er zögerte, ging dann fort und folgte dem Wasserlauf auf die Felsen zu. Das Bild ihrer Füße blieb ihm unbehaglich klar im Geist.
»Ihr müßt nicht fortgehen«, rief sie ihm nach, und er blieb stehen. »Ich… ich brauche nur eine Minute.«
Er wartete, schaute hinaus in die Bäume, hörte jetzt Stimmen hinter sich erschallen, ein kurzes Auflachen hier, ein schnelles Murmeln dort.
»In Ordnung«, sagte sie, und er wandte sich wieder um. Sie stand an dem Wasserlauf, die Hosen hinuntergerollt und die Stiefel angezogen. »Es tut mir leid, daß ich Euch so angefahren habe.«
Er zuckte die Achseln und ging zu ihr hinüber. »Entschuldigt, wollte Euch nicht überraschen. Ich bin noch immer nicht ganz wach, vermute ich.«
»Es war nicht Euer Fehler.« Sie wirkte ebenfalls verlegen.
Er kniete sich neben dem Wasserlauf hin, spritzte sich Wasser auf Gesicht und Hände, benutzte Seife, um sich zu waschen und trocknete sich dann mit einem weichen Tuch ab. Er hätte ein Bad gebrauchen können, aber er wollte sich die Zeit nicht nehmen. Er war sich bewußt, daß das Mädchen ihn beobachtete, während er sich wusch. Sie wartete wie ein schweigender Schatten an seiner Seite.
Er beendete seine Waschung und blieb auf den Fersen hocken und atmete tief die Morgenluft ein. Er konnte Wildblumen und Gräser riechen.
»Ihr brecht nach Tyrsis auf, um Padishar zu befreien«, sagte sie plötzlich. »Ich möchte mit Euch gehen.«
Er schaute überrascht zu ihr auf. »Woher wißt Ihr etwas von der Befreiungsaktion?«
Sie zuckte die Achseln. »Dadurch daß ich getan habe, worin ich geübt bin - meine Augen und Ohren offenzuhalten. Kann ich mitkommen?«
Er stand auf und sah sie an. Ihre Augen befanden sich auf gleicher Höhe mit seinen. Er war wieder einmal überrascht, wie groß sie war. »Warum solltet Ihr das tun wollen?«
»Weil ich es leid bin, nur herumzustehen und nichts zu tun, als die Gespräche anderer Leute zu belauschen.« Ihr Blick war fest und entschlossen. »Erinnert Ihr Euch an unsere Unterhaltung auf dem Weg hierher? Ich sagte, ich warte darauf, daß etwas geschieht. Nun, es ist etwas geschehen. Und ich möchte mit Euch gehen.«
Er war nicht sicher, ob er sie verstanden hatte und wußte nicht, was er sagen sollte. Es war schlimm genug, daß Damson Rhee mit ihnen zurückgehen mußte. Aber auch Matty Roh? Auf eine so gefährliche Reise, wie diese zweifellos werden würde?
Sie trat einen Schritt zurück und musterte ihn. »Ich würde es hassen, denken zu müssen, daß Ihr dumm genug seid, Euch um mich Sorgen zu machen«, sagte sie geradeheraus. »Tatsache ist, daß ich weitaus besser auf mich selbst aufpassen kann als Ihr auf Euch. Ich tue das schon seit sehr viel längerer Zeit. Ihr erinnert Euch vielleicht daran, was im Whistledown geschah, als Ihr versucht habt, mich anzufassen.«
»Das zählt nicht!« fauchte
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