Shannara VII
sich in der letzten Zeit gewandelt. Das Gefühl von Fremdheit, das immer zwischen ihnen bestanden hatte, war verschwunden. Sie waren jetzt so untrennbar miteinander verbunden, daß er den Eindruck hatte, was auch immer ihm geschehen würde, würde auch ihr geschehen - und umgekehrt. Auch wenn es der Tod selbst wäre.
»Gib mir etwas Zeit«, bat er sie sanft. »Dann werden wir darüber sprechen.«
Sie griff nach seiner Hand und drückte sie einen Augenblick. »Ich liebe dich«, sagte sie.
So kam es, daß er am Nachmittag, als sie das Tal von Rhenn hinaufritten, immer noch nicht von seinen Sorgen gesprochen hatte und sie immer noch darauf wartete, daß er es tun würde. Der Tag war hell und warm, die Luft süß vom Geruch feuchten Grases und des Blattwerks, der Wald um sie herum getränkt mit Erinnerungen an die Regengüsse der vergangenen Wochen. Die Wolken hatten sich schließlich gelichtet, aber der Boden war noch weich, und der Pfad, über den die Elfen nach Osten gekommen waren, morastig. Den ganzen Tag über trafen Berichte von dem Teil der Armee ein, die bereits seit längerem am oberen Teil des Tals ihre Verteidigungsposition eingenommen hatte. Die Nordlandarmee näherte sich weiterhin, sie schob sich langsam von Norden und Süden über die Streleheimebene. Die einzelnen Einheiten trafen unterschiedlich schnell ein, abhängig von ihrer Größe und Beweglichkeit, und je nachdem, zu welchen Teilen sie aus Fußsoldaten, Pferden oder Packtieren bestanden. Die Armee des Dämonenlords war gewaltig und schwoll immer noch weiter an. Bereits jetzt füllte sie das flache Gelände an der Mündung des Tals, so weit das Auge reichte. Sie war viermal so groß wie die Armee der Elfen, und das Verhältnis würde sich mit jeder neu eintreffenden Einheit weiter verschlechtern. Die Meldungen wurden mit ruhigen, gleichmäßigen Stimmen vorgetragen, denen absichtlich jede Emotion fehlte, aber Jerle Shannara war geübt im Erkennen dessen, was sich in den kleinen Pausen und im Tonfall verbarg. Er spürte erste Ansätze von Furcht.
Es war ihm klar, daß er etwas dagegen würde tun müssen. Und zwar schnell.
Ihre Situation war trostlos. Reiter waren nach Osten zu den Zwergen gesandt worden, um von ihnen Unterstützung zu erbitten aber die aus dem Westland hinausführenden Pfade waren von den Patrouillen der Nordländer besetzt, und es würde Tage dauern, ehe ein Reiter einen Weg an ihnen vorbei gefunden hätte. Bis dahin waren die Elfen auf sich allein gestellt. Niemand konnte ihnen zu Hilfe kommen. Die Trolle waren ein unterdrücktes Volk, ihre Armeen waren Sklaven des Dämonenlords. Die Gnome waren selbst in ihren besten Zeiten schlecht organisiert und hatten ohnehin für die Elfen nicht viel übrig. Die Menschen hatten sich tief in das Südland in ihre verstreut liegenden Städte zurückgezogen und besaßen überhaupt keine Kampfkraft. Nur die Zwerge waren geblieben - falls sie überlebt hatten. Noch immer gab es keine Nachricht darüber, ob Raybur und seine Armee dem Angriff der Nordlandarmee entkommen waren.
Es gab also genug Grund zur Furcht, dachte Jerle Shannara, während sie durch die Wälder am westlichen Eingang des Rhenntales zogen - der Elfenkönig, seine Begleiter und Berater sowie drei Kompanien von Kriegern. Es gab zu viele Gründe - doch sie durften nicht die Oberhand gewinnen.
Was aber konnte er dagegen tun?
Bremen ritt mit Allanon an seiner Seite ein paar hundert Meter weiter hinten zwischen den Beratern des Königs und den Befehlshabern der Elfenarmee. Er dachte über dieselbe Frage nach. Aber ihn sorgte nicht die Furcht der Elfenkrieger, sondern die des Königs. Denn selbst wenn Jerle Shannara es nicht zugeben wollte oder es ihm vielleicht gar nicht bewußt war - auch er fürchtete sich. Seine Angst war nicht offensichtlich, nicht einmal ihm selbst, aber dennoch war sie da. Wie ein heimtückischer Jäger lauerte sie in den Winkeln seines Geistes und wartete auf ihre Chance. Bremen hatte sie einen Tag zuvor gespürt, in dem Augenblick, als er dem König die Macht des Schwertes enthüllt hatte. Und da war sie gewesen, in seinen Augen, in den Tiefen seiner Verwirrung und Unsicherheit, dort nagte sie und wuchs und konnte am Ende zum Verderben führen. Trotz der Anstrengung des alten Mannes, trotz seiner eigenen, starken Überzeugung von der Macht des Talismans - der König glaubte nicht. Er wollte, aber er tat es nicht. Er würde sicherlich versuchen, einen Weg zu finden, aber es gab keine Sicherheit
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