Shannara VII
und vieles, was du nicht siehst. Ich bin ein Chamäleon der Zeit, und meine wahre Gestalt ist so alt, dass ich sie vergessen habe. Für dich bin ich vor allem zwei Dinge. Das Kind, welches vor dir steht und von dem du glaubst, es vielleicht zu kennen, und dies.«
Urplötzlich verwandelte sich das Kind vor ihm in etwas so Grauenhaftes, dass er geschrien hätte, wenn ihm nicht die Stimme in der Kehle erstarrt wäre. Dieses Monstrum war riesig und hässlich, in vernarbte und geschundene Haut gehüllt, die Augen waren rot und wirkten wahnsinnig, der Mund verzog sich zu einem höhnischen Lächeln, bei dem man an unvorstellbare Schrecken dachte. Die Kreatur ragte über ihm auf, denn sie war riesig, obwohl sie gebeugt dastand, und sie gestikulierte hypnotisierend mit den klauenartigen, gekrümmten Händen.
»Diess bin ich ebenfallss, Bek. Diesse Kreatur auss der Hölle. Würdesst du mich lieber sso oder sso ssehen? Hsss. Welche bevorzugsst du?«
»Die andere!«, brachte Bek im Flüsterton hervor. Seine Kehle war trocken geworden, fühlte sich rau an und war vor Angst wie zugeschnürt.
»Sso, Findelkind dess Unglückss. Was gibsst du, damit das geschieht? Hsss. Wie viel deiness Sselbsst opfersst du dafür?«
Das Ding berührte ihn fast, die Klauen strichen über das Vorderteil seines Gewandes. Er wäre davongerannt, wenn er nur dazu in der Lage gewesen wäre, hätte nach Quentin gerufen, der keine zwanzig Meter entfernt schlief. Aber er konnte nichts tun, nur dastehen und die Erscheinung vor sich anstarren.
»Dein isst die Macht, mich von einem inss andere zu verwandeln«, zischte die Kreatur. »Vergisss diess nicht. Niemalss. Hsss.«
Erneut veränderte sich das Wesen innerhalb eines Herzschlags; jetzt sah Bek einem netten, alten wettergegerbten Mann in die hellen Augen.
»Fürchte dich nicht, Bek Rowe«, sagte der alte Mann leise mit freundlicher Stimme. »Heute Nacht wird nichts erscheinen, das dir ein Leid zufügt. Ich bin hier, um dich zu beschützen. Kennst du mich?«
Überraschenderweise kannte er ihn tatsächlich. »Du bist der König vom Silberfluss.«
Der alte Mann nickte zustimmend. Der König vom Silberfluss war eine Legende in den Vier Ländern, ein Mythos, dem nur wenige je begegnet waren, ein Geisterwesen von magischer Natur, das noch aus der Zeit vor den Großen Kriegen stammte. Er war so alt wie das Wort, hieß es, eine Kreatur, die die Feen überlebt hatte. Hier im Land am Silberfluss lebte er und beschützte es. Angeblich hütete er verborgene Gärten, die so wunderschön und bezaubernd waren, dass kein Mensch sie sich vorstellen konnte. Hin und wieder begegnete ein Reisender ihm, manchmal einer, der Hilfe brauchte. Stets erhaschte derjenige nur einen kurzen Blick auf ihn und behielt nur eine winzige Erinnerung zurück. Niemand konnte ihn hinterher beschreiben oder sich an den Ort erinnern, an dem die Begegnung stattgefunden hatte. Auch die Worte, die gesprochen wurden, konnte niemand wiederholen. Von dem Erlebnis blieb meist nur ein Gefühl zurück, eine Wärme und ein Trost, dass in der Welt nicht alles verloren war und dass es noch Möglichkeiten gab, die Dinge zu richten.
»Beherzige meinen Rat«, sagte der alte Mann leise. »Was ich dir gezeigt habe, ist die Vergangenheit und die Gegenwart. Was noch entschieden werden muss, ist die Zukunft. Die Zukunft gehört dir. Du bist mehr und weniger, als du glaubst, ein Rätsel, dessen Geheimnis das Leben vieler beeinflussen wird. Scheue nicht davor zurück, das zu enthüllen, was du offen legen musst, das zu erfahren, was du wissen willst. Lasse dich nicht von deiner Suche abhalten. Geh dorthin, wohin dein Herz dich führt. Vertraue auf das, was es dir zeigt.«
Bek nickte, obwohl er nicht sicher war, ob er verstanden hatte.
»Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die Symbiose unseres Lebens«, fuhr der alte Mann leise und sanft fort. »Unsere Geburt, unser Leben, unser Tod, das alles ist zu einem einzigen Bündel verschnürt, mit dessen Entknotung wir unsere Zeit auf dieser Erde verbringen. Manchmal sehen wir ganz deutlich, was wir anstarren. Dann wieder nicht. Manchmal können wir uns ablenken oder täuschen, und wir müssen sorgfältiger auf das schauen, was wir in den Händen halten.«
Er griff in seine Robe und zog eine Kette hervor, an der ein eigentümlicher, silberfarbiger Stein hing. Er hielt ihn Bek hin, damit er ihn betrachten konnte. »Dies ist ein Phönixstein. Wenn du vollkommen in die Irre gelaufen bist, wird er dir den Weg zeigen.
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