Shannara VII
geschworen, seinem Leben eine andere Richtung zu geben.
Aber das war Schnee von gestern, ermahnte er sich, während er an das frühe Feuer seiner Verpflichtung dachte, zu verändern, was vom Schicksal vorherbestimmt war. Was ihn am meisten schmerzte und was so schwer auf seinem Gewissen lastete, war nicht der Bruch des Eides selbst, denn das konnte er mit der Notwendigkeit rechtfertigen, sondern der Abstand, den er zu seinem Weg gewonnen hatte, indem er seine Rolle übernahm. Er hatte geschworen, er würde kein Druide wie die anderen sein, wie Allanon und Bremen vor ihm. Er wollte sich nicht hinter Geheimnissen und Täuschungen verbergen. Außerdem würde er nie andere manipulieren, um seine Ziele zu erreichen. Er würde nicht betrügen oder irreführen. Stattdessen würde er offen, aufrecht und ehrlich handeln. Immer würde er enthüllen, was er wusste, immer würde er ehrlich sein.
Er wunderte sich darüber, wie naiv er gewesen war. Wie töricht. Wie schrecklich und auf verhängnisvolle Weise unrealistisch.
Denn die Vorschriften des Lebens erlaubten keine einfachen Unterscheidungen zwischen richtig und falsch und gut und böse. Man musste seine Wahl zwischen Grautönen treffen, und auf beiden Seiten gab es Heil und Leid abzuwägen. Und im Ergebnis war sein Leben dann unumkehrbar dem Weg seiner Vorgänger gefolgt, und im Laufe der Zeit hatte er genau die Eigenschaften angenommen, die er an ihnen so verabscheut hatte. Ohne es sich je zu wünschen, war er so geworden wie sie.
Weil er die Notwendigkeit sah.
Weil stets und alle Zeit das größere Wohl bedacht werden musste, wenn man sich für eine Handlungsweise entschied.
Erzähl das mal Bek Rowe, wenn dies alles vorüber ist, dachte er finster. Erkläre es dem Jungen.
Unvermittelt traten sie aus dem Wald auf eine Lichtung, auf der dunkel und still ein einziges Häuschen stand. Es war in keinem guten Zustand, das Dach hing durch, im Hof wuchs Unkraut, und der Garten war verödet. Scheinbar hatte hier schon seit einiger Zeit niemand mehr gewohnt.
Dann aber entdeckte Walker das Mädchen. Es saß im Schatten der Veranda, ganz still und mit der Dunkelheit verschmolzen. Als er den Blick auf sie richtete, erhob sie sich sofort und betrachtete ihn und Hunter Predd. Im Licht von Mond und Sternen wirkte sie nun älter, nicht mehr wie ein Mädchen, sondern wie eine junge Frau. Sie trug das blonde Haar lang und offen, und es rahmte ihr bleiches, hageres Gesicht mit dicken Locken ein. Und mager war sie, so mager, dass man glaubte, eine starke Windböe vermöge sie umzustoßen. Sie trug ein einfaches Wollkleid, das sie an der Taille mit einem Stoffstreifen zusammengeschnürt hatte. Ihre Sandalen waren staubig und abgelaufen, und um den Hals hatte sie sich ein Band aus Metall und Leder gelegt.
Mit Hunter Predd an seiner Seite ging er zu ihr. Sie wandte nicht den Blick von ihm ab, schaute sich nicht einmal den Flugreiter an.
»Bist du derjenige, den sie Walker nennen?«, fragte sie mit leiser, hoher Stimme.
Walker nickte. »Der bin ich.«
»Mein Name ist Ryer Ord Star. Ich habe auf dich gewartet.«
Walker betrachtete sie neugierig. »Woher wusstest du, dass ich kommen würde?«
»Ich habe dich in einem Traum gesehen. Wir flogen in einem Luftschiff weit hinaus auf die Blaue Spalte. Düstere Wolken hingen über uns, und Donner dröhnte grollend durch den Himmel. Doch innerhalb der finsteren Wolken verbarg sich etwas noch Finstereres, und ich warnte dich, du solltest dich davor hüten.« Sie hielt kurz inne. »Als ich diesen Traum hatte, wusste ich, du würdest hierher kommen, und ich würde mit dir gehen.«
Walker zögerte. »Ich habe nicht beabsichtigt, dich zu fragen, ob du mich begleitest, ich wollte dich nur bitten…«
»Aber ich muss dich begleiten!«, betonte sie rasch und unterstützte die Dringlichkeit ihrer Aussage mit einer abrupten Geste. »Denn ich habe noch weitere Träume gehabt, eine ganze Menge. Mir ist es bestimmt, mit dir die Blaue Spalte zu überqueren. Das ist mein Schicksal!«
Sie sprach mit solcher Überzeugung, dass es Walker verblüffte. Er blickte Hunter Predd an. Selbst das verwitterte Gesicht des Flugreiters zeigte Überraschung.
»Siehst du?«, fragte sie und deutete auf eine Leinentasche, die zu ihren Füßen stand. »Ich habe schon gepackt und bin zum Aufbruch bereit. Gestern Nacht habe ich von deiner Ankunft geträumt. Der Traum war so eindringlich, dass ich sogar die Zeit erfahren habe. Solche Träume haben Seher nicht oft. Und fast
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