Shannara VII
Hawk.«
Sie schlichen auf Zehenspitzen hinaus, glitten leise durch den halbdunklen Gang. Furl Hawken warf ihr noch einen Blick zu, dann ging er auf die Wache zu. Die Jerle Shannara schwankte weiterhin im Sturm, und der Wind heulte so laut, dass die Wache offenbar an nichts anderes denken konnte. Oben auf Deck ertönte ein Krachen; vermutlich war eine Spiere heruntergekommen. Die Wache starrte nach oben. Rue Meridian sah zu den Türen der zwei nächsten Lagerräume. Im kleineren wurden Wasser und Bier in großen Fässern aufbewahrt. Darin gab es keinen Platz für Gefangene. Im anderen lagerten Essensvorräte. Dort würde sie vielleicht jemanden finden, die größeren Lagerräume lagen jedoch weiter hinten.
Nur noch ein paar Schritte, dachte Rue Meridian und beobachtete Hawk, der sich vorsichtig anschlich; da öffnete sich die Luke, und eine regennasse Gestalt stieg die Treppe hinunter.
Der Kerl entdeckte die Fahrenden sofort, stieß einen Warnschrei aus und lief die Treppe wieder hinauf. Die Wache fuhr zu Furl Hawken herum und hielt ein blitzendes Schwert in der klauenartigen Hand. Hawk sprang auf den Mann zu, und Rue Meridian hörte das Krachen des Zusammenpralls. Sie erhaschte einen Blick auf das reptilienhafte Gesicht der Wache, das schuppig und nass war, weil der Regen durch die Luke hereinfiel. Ein Mwellret! Bei dem anderen hatte es sich der Uniform nach um einen Soldaten der Föderation gehandelt. Ihr wurde eiskalt. Hawk und sie würden niemals gegen mehrere Mwellrets ankommen. Sie musste den fliehenden Soldaten aufhalten, ehe er die anderen warnen konnte.
Instinktiv rannte sie ihm hinterher und sprang an Hawk und dem Mwellret vorbei. Sie schoss die Treppe hinauf zum Deck und in den Sturm hinaus, der so wild tobte, dass der Wind ihr die Kleidung vom Leib zu reißen drohte und der Regen sie in Sekunden durchnässt hatte. Das Schiff schwankte und drehte sich in den Orkanböen, die Lichtsegel waren eingeholt, die Sammler ebenso, wie es sich eben für dieses Wetter gehörte, und trotzdem drehte sich das Schiff führerlos im Kreis. Rue Meridian nahm das alles in einer Sekunde wahr, während sie dem Soldaten folgte. Sie erwischte ihn mittschiffs, kurz vor der Pilotenkanzel, wo ein zweiter Soldat mit dem Steuer kämpfte, und warf sich gegen seinen Rücken. Sie wälzten sich über das Deck bis zum vorderen Mast. Der Soldat wollte fliehen, und dabei dachte er nicht einmal daran, seine Waffe zu ziehen. Das tat Rue schließlich für ihn: Sie riss das lange Messer aus seinem Gürtel und rammte es ihm in die Brust.
Sie ließ den Sterbenden liegen und sprang auf. Der Föderationssoldat in der Pilotenkanzel schrie um Hilfe, aber daran konnte sie nun nichts mehr ändern. Wenn sie ihn tötete, wäre das Schiff vollkommen ohne Führung. Der Wind übertönte seine Rufe beinahe, vielleicht würde ihn ja niemand hören. Sie machte sich auf zum Heck. Da sie keine Sicherheitsleine hatte, musste sie geduckt gehen und sich festhalten, wo immer sie konnte. Auf dem regennassen Holz rutschte sie hin und her. Durch Nebel und Regen sah sie die grauen, rauen Wände des Kanals jenseits der Reling aufragen. Irgendwo gar nicht weit entfernt hörte sie das Krachen des Quetschers.
In dem Moment stieß sie auf den nächsten Mwellret. Er trat aus dem Schatten des hinteren Mastes, zog ein langes Messer und ging auf sie zu. Sie wich zurück. Der Mwellret war viel stärker als sie; wenn er sie packte, würde sie sich nicht befreien können, es sei denn, sie tötete ihn, und das war nicht gerade sehr wahrscheinlich. Allerdings wusste sie auch nicht, wohin sie fliehen sollte. Gebückt lief sie zur Reling an Steuerbord und drehte sich zu dem Mwellret um. Er griff augenblicklich an, und sie nutzte seine Bewegung aus, ging in die Hocke, trat ihm gegen die Füße und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er taumelte an ihr vorbei, wollte sich wieder aufrichten, krachte gegen die Reling, ging über Bord und war verschwunden.
Das war ja nicht so schwer, dachte sie übermütig und unterdrückte den Drang zu lachen. Der Nächste, bitte.
Sie stand gerade wieder auf beiden Füßen, als ihr dieser Wunsch erfüllt wurde. Zwei weitere dieser Wesen erschienen durch die Luke am Heck und gingen auf sie los.
Schatten! Da stand sie in Sturm und Regen und versuchte krampfhaft, sich etwas einfallen zu lassen. Sie hatte das lange Messer, eine armselige Waffe gegen zwei Mwellrets. Daher schob sie sich erst einmal an der Reling entlang, um ein wenig Zeit zu gewinnen.
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