Shannara VIII
nahm sich einen Augenblick Zeit, um sich durch den Kopf gehen zu lassen, wohin all dies führte. Der Junge und sein Beschützer rannten davon, aber wohin? Dieses Land war für die beiden genauso fremd wie für sie, und sie kannten weder seine Geografie noch seine Einwohner. Der Gestaltwandler hatte dem Jungen bestimmt längst erzählt, auf welche Weise das Luftschiff unter ihre Kontrolle geraten war und dass es somit für die zwei keine Hilfe mehr bedeutete. Die Mitglieder des Landungstrupps, den Walker angeführt hatte, waren tot oder verstreut, und der Druide war verschwunden. Bestenfalls stellte die Flucht eine vorübergehende Lösung für ihr Problem dar. Welchen Vorteil wollten sie daraus ziehen? Was war ihr Ziel? Freilich liefen sie nicht einfach blindlings ins Leere hinein. Dafür besaß der Gestaltwandler zu viel Verstand.
Langsam erhob sie sich und traf eine Entscheidung. Antworten auf Fragen wie diese mussten warten. Es machte keinen Unterschied, wohin sie liefen oder warum, wenn sie die beiden nicht fand, und das beabsichtigte sie. Wenn ihre Magie auf die eine Art nicht dienlich war, dann eben auf die andere.
Sie stellte sich an den Rand der Wiese, legte die Hände trichterförmig an den Mund und stieß einen langen, tiefen Schrei aus, der unheimlich und frostig in der Ferne verhallte. Dreimal stieß sie diesen Schrei aus, wartete eine Weile und wiederholte ihn erneut dreimal.
Die Zeit verstrich, und auf der Wiese und aus dem Wald war außer Vogelgesang und dem Rauschen des Laubes im Wind nichts zu hören. Die Ilse-Hexe stand da, lauschte und schaute in alle Richtungen gleichzeitig.
Dann bewegte sich etwas aus den Bäumen heraus auf das Gras am anderen Ende der Wiese und brachte den Blumenteppich dazu, sich zu kräuseln und zu teilen. Die Ilse-Hexe wartete geduldig, während das Geschöpf unter der wogenden Decke der Wildblumen auf sie zukroch.
Als es nur noch ein Dutzend Schritte entfernt und es zu spät für eine Flucht war, hob es die Schnauze aus dem Meer der Helligkeit, witterte und suchte nach der Quelle des Rufes, der es herbefohlen hatte. Der Wolf stammte von keiner Rasse, die sie kannte, und er war größer als jene, mit denen sie vertraut war, dennoch eignete er sich für die Aufgabe. Er war ein Verbannter, ein Ausgestoßener - sie spürte das - und gehörte zu keinem Rudel, sondern lebte als einsamer Einzelgänger. Ergrautes schwarzes Haar bedeckte die scharfen Züge seines Gesichts, der vernarbte graue Körper war sehnig und muskulös. Da er ein wilder Jäger war, besaß der Wolf unerreichte Fähigkeiten im Spurenlesen und Instinkte, die ihr gute Dienste leisten würden, nachdem sie erst die notwendigen Anpassungen vorgenommen hatte.
Der Wolf hatte offensichtlich gespürt, dass er in der Falle saß und sich von ihrer Magie, ihrer unwiderstehlichen Stimme und den Ketten, die sie ihm mit ihrem leisen Summen und Singen angelegt hatte, nicht befreien konnte. Aber er war keineswegs zu verblüfft, um nicht wenigstens einen Fluchtversuch zu unternehmen. Seine Halskrause sträubte sich, er knurrte und wehrte sich gegen ihre Anstrengungen, die Kontrolle über ihn auszuüben, und sein Hass auf sie enthüllte sich in den bösen Blicken und den gefletschten Zähnen. Sie überließ ihn einen Moment lang der Wut, dann brachte sie ihn gnadenlos zur Räson. Stück um Stück überwand sie seinen Widerstand, besiegte seinen Willen, eroberte Herz und Verstand und machte Körper und Gedanken zu ihrem Eigen.
Danach begann sie, ihn neu zu gestalten. Es handelte sich bereits um ein gefährliches Tier, aber sie entschied, es müsse noch bedrohlicher werden; der Gestaltwandler würde mit einem gewöhnlichen Wolf keine Schwierigkeiten haben, gleichgültig, wie wild dieser war, und sie wollte, dass sich die Chancen ins Gegenteil verkehrten. Sie wollte einen Caull, eine Bestie aus neu geformtem Fleisch und Knochen, ein Geschöpf der Magie, das von ihrer Hand gestaltet worden war und allein ihr gehorchte. Mit Hilfe des Wunschliedes wollte sie es genau für ihre Zwecke prägen und vor allem die Raubtierinstinkte, die Fähigkeit des Spurenlesens und die Unverwüstlichkeit betonen. Die Intelligenz zu steigern war eine zu schwierige und zu komplexe Aufgabe, selbst für sie. Doch die Gestalt konnte sie ihren Wünschen anpassen, und sie scheute nicht vor dem Notwendigen zurück, auch wenn das Tier dabei schrie wie ein menschliches Kind.
Später lag es keuchend und fiebernd auf der sonnenbeschienenen Erde, die Wildblumen
Weitere Kostenlose Bücher