Shannara VIII
geglitten. Bei ihr und bei niemandem sonst - er selbst eingeschlossen - befand er sich in einer Position der Macht. Er war ihr Beschützer, und er sorgte für sie. Sie war von Feinden umgeben. Allein stellte sie zwar mehr dar als er. Indem er die Verantwortung für sie akzeptierte, bekam sein Leben jedoch einen Sinn, während es ansonsten auf reine Selbsterhaltung reduziert gewesen wäre.
Er legte sie an einer trockenen Stelle auf den Boden, dort, wo der Regen den Baldachin der Bäume nicht durchdrungen hatte, und deckte sie fürsorglich mit ihrem Mantel zu. Lange betrachtete er sie, ihre klaren Gesichtszüge und die geschlossenen Augen, beobachtete den Puls an ihrem Hals und die Brust, die sich hob und senkte. Seine Schwester.
Dann stand er auf und starrte hinaus in die Dunkelheit, müde und doch nicht schläfrig, und seine Gedanken wateten durch den Morast seiner Sorgen, während er zu überlegen versuchte, wie er sich und Grianne helfen konnte. Gewiss würde Truls tun, was er konnte, aber Bek wusste, dass es ein Fehler wäre, sich zu sehr auf den geheimnisvollen Beschützer zu verlassen. Das hatte er zuvor schon einmal getan, und es hatte nicht genügt. Am Ende, und davor hatten ihn die Gestaltwandler in den Bergen ja bereits gewarnt, hatte er sich auf sich selbst verlassen müssen. Er hatte auf Grianne gewartet, sich ihr gestellt und dadurch den Verlauf ihres Lebens und seines eigenen verändert.
Allerdings konnte er bislang nicht absehen, ob die Veränderung zum Besseren geführt hatte. Er nahm es wenigstens an. Zumindest war Grianne nicht mehr die Ilse-Hexe, seine Feindin und Gegenspielerin. Immerhin waren sie jetzt beieinander, hatten die Ruinen hinter sich gelassen sowie die Schwarze Moclips und die Mwellrets abgehängt. Immerhin befanden sie sich in Freiheit.
Er setzte sich, schloss die Augen, um sich wenigstens ein bisschen auszuruhen, und Sekunden später war er eingeschlafen. Er schlief tief und fest, weil er erschöpft war und weil er bereit war, sein Leben im Wachzustand für eine Weile loszulassen. Unter der kühlen, stillen Decke der Dunkelheit konnte er sich einreden, dass er sich in Sicherheit befand.
Wie lange er so geruht hatte, wusste er nicht, dafür war er sicher, was ihn geweckt hatte - eine Stimme, die ihn aus seinen Träumen rief.
- Bek -
Die Stimme war klar und deutlich und meinte ihn. Er schlug die Augen auf.
- Bek -
Das war Walker. Bek stand auf und suchte auf der leeren Lichtung nach ihm. Der Himmel über ihm war klar und mit tausenden von Sternen übersät, deren Licht dem dunklen Wald einen silbrigen Schein verlieh. Er blickte sich um. Seine Schwester schlief. Truls Rohk war noch nicht zurückgekehrt. Ganz allein stand er an diesem Ort, wo Geister sprachen und die Wahrheit enthüllt wurde.
- Bek -
Die Stimme rief ihn nicht von der Lichtung, aber von irgendwo in der Nähe, und er folgte dem Ruf und trat zwischen die Bäume. Wegen seiner Schwester machte er sich keine Sorgen, obwohl er nicht hätte erklären können, aus welchem Grund. Vielleicht, weil er überzeugt war, dass Walker ihn nicht rufen würde, solange irgendwelche Gefahren für sie drohten. Allein der Klang der Druidenstimme erfüllte Bek mit einem Frieden, der sich jeglicher Erklärung entzog. Die Stimme eines Toten, die Frieden bringt - äußerst eigenartig.
Er ging ein kleines Stück und fand ihn auf einer Lichtung mit einem tiefen, schwarzen Teich in der Mitte, dessen Ränder von Weiden gesäumt waren und auf dessen Oberfläche nachtblühende Wasserlilien durch die Dunkelheit trieben. Die Gerüche des Wassers und des Waldes vermengten sich zu einer berauschenden Mischung aus feuchter und trockener Erde, gemächlicher Fäulnis und sprießendem Leben. Glühwürmchen blinkten überall um den Teich auf wie winzige Leuchtfeuer.
Der Druide stand auf der gegenüberliegenden Seite, nicht richtig im Wasser und auch nicht am Ufer, sondern er schwebte in der Nachtluft, ein durchscheinender Schatten, nur schemenhaft zu sehen. Das Gesicht war in der Kapuze verborgen, dennoch erkannte ihn Bek. Niemand sonst hatte diese Haltung und diese Gestalt; auch im Tode blieb Walker unverkennbar.
Der Druide sprach zu ihm mit einer Stimme wie aus einem tiefen, leeren Brunnen.
- Bek. Mir bleibt nur wenig Zeit, um mich frei auf dieser Erde zu bewegen, ehe das Hadeshorn mich zu sich ruft. Die Zeit rinnt mir durch die Finger. Hör genau zu. Ich werde kein zweites Mal zu dir kommen -
Die Stimme klang
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