Shannara VIII
Deck waren in Frachträumen eingesperrt und konnten sich nicht befreien, sonst hätten sie dies inzwischen getan. Ihr Bruder, Redden Alt Mer. Der Schiffsbauer, Spanner Frew, Ihre Freunde, die Fahrenden aus ihrer Heimat. Gefangen und hilflos, der Gnade der Elemente ausgesetzt, war ihr Schicksal beschlossene Sache.
Niemand würde ihr helfen.
Niemand würde ihnen helfen.
Es sei denn, sie selbst unternahm etwas.
Mit übermenschlicher Anstrengung löste sie eine Hand vom Seil und ergriff es ein Stück weiter oben erneut.
Schmerz schoss durch ihren Körper und riss sie aus der Lethargie. Jetzt ignorierte sie Kälte und Starre und zog sich ein Stück hoch, löste die zweite Hand und packte ein Stück weiter oben abermals zu. Blut rann ihr in die gefrorene Kleidung, wo ihr Körper noch eine gewisse Wärme gespeichert hielt. Langsam erfror sie, wurde ihr klar, während sie an diesem Seil hing und von den Gletscherwinden durchgeschüttelt wurde. Also zwang sie sich, erneut umzugreifen und sich weiter hochzuziehen, eine Hand über die andere, und jedes Mal durchlebte sie ein unerträgliches Martyrium. Ihre Lider waren mit Eis verklebt. Um sie herum befanden sich Gletscher, welche die Berge und Klippen krönten und in Nebel und Wolken verschwanden. Schnee trieb in Schauern vorbei, und vor sich sah sie die Säulen, träge sich bewegende Kolosse vor weißem Hintergrund, auf deren azurblauer Oberfläche das Licht glitzerte. Brüllender Lärm und schrilles Knirschen begleitete ihr Einstürzen, ihr Zusammenstoßen und ihr Auseinandergehen, und innerlich spürte sie schon den Druck ihres Gewichts.
Los, weiter. Sie kletterte höher, litt immer noch unter Schmerz und Erschöpfung, hing hoffnungslos weit entfernt von der gebrochenen Reling, die sie erreichen musste. Verzweiflung machte sich in ihr breit. Sie würde es niemals rechtzeitig schaffen. War sie überhaupt schon vorangekommen? Ihre Hände schmerzten so fürchterlich, und sie fühlte sich so hilflos und schwach, dass sie am liebsten aufgegeben und losgelassen hätte, dass sie sich einfach fallen lassen und allem ein Ende bereiten wollte. Das wäre so leicht. Sie würde nichts fühlen. Schmerz und Kälte würden aufhören, die Verzweiflung wäre vorüber. Dazu brauchte sie nur einen Augenblick lang ihre müden Hände zu entspannen, mehr war nicht notwendig.
Feigling.
Sie brüllte das Wort in den Wind. Was stellte sie sich eigentlich vor? Sie war eine Fahrende, und wenn Fahrende eins konnten, dann jede Situation durchstehen. Sich aus einer solchen Lage zu befreien erforderte Opfer, aber man gewann dadurch Leben. Durchhalten war stets die schwierigere Wahl, doch konnte man dadurch das wahre Herz einer Person erkennen. Sie würde nicht aufgeben, mahnte sie sich. Niemals!
Bleib am Leben! Klettere weiter!
Sie drückte das Kinn auf die Brust, setzte eine Hand über die andere, zog sich Zoll um Zoll, Fuß um Fuß höher und weigerte sich loszulassen. Ihr Körper protestierte mit Schmerzen, und es fühlte sich an, als würden Wind und Kälte plötzlich ihre Anstrengungen verdoppeln, sie aufzuhalten. Gefrorene Haarsträhnen peitschten ihr ins Gesicht. Sie sammelte alle Kraft, die sie zum Weiterklettern brauchte. Ihr Bruder und die anderen Fahrenden waren im Schiff gefangen und auf sie angewiesen. Walker war mit anderen der Landungsgruppe an der Küste gestrandet, und bei ihm befand sich auch ihr junger Freund Bek. Furl Hawken war tot, weil er versucht hatte, sie zu retten. Die Ilse-Hexe und ihre Mwellrets würden niemals für ihre Taten Rechenschaft ablegen müssen, wenn sie nicht am Leben blieb und sich darum kümmerte.
Schatten!
Sie brüllte laut, die Tränen froren ihr auf dem Gesicht, und sie konnte kaum noch sehen oder feststellen, wie weit sie sich schon hochgezogen hatte. Die Zähne hatte sie so fest zusammengebissen, dass es schmerzte, ihre Rückenmuskeln verkrampften sich von der Anstrengung. Viel weiter würde sie nicht kommen, das wusste sie. Lange würde sie es nicht mehr aushalten. Eine Hand über die andere setzen, das Seil umklammern und sich hochhieven, die andere Hand über die erste, das Seil umklammern und sich hochhieven, weiter und weiter…
Dann schrie sie vor Schmerz, als der Wind sie gegen den Rumpf des Luftschiffes trieb, und beinahe hätte sie das Seil losgelassen. Schließlich begriff sie, was geschehen war, wie weit sie gekommen war, und sie öffnete die Augen und schaute sich die Sache an. Die Lücke in der zerbrochenen Reling befand sich genau
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