Shannara VIII
leise und sanfte Melodie, die sie trösten sollte. Er verschmolz mit der Nacht, wurde zu einem ihrer Geräusche, einer natürlichen Gegebenheit. Langsam ließ er seinen Gesang mehr um persönlichere Dinge kreisen und benutzte Wörter - ihren Namen, seinen eigenen, die Namen ihrer verstorbenen Familienangehörigen. Er hielt sich an Erinnerungen, über die sie lächeln würde oder die wenigstens Sehnsucht nach dem erzeugen konnten, was sie verloren hatte. Den Namen, unter dem sie allgemein bekannt war, vermied er - Ilse-Hexe. Er nannte sie Grianne und sich selbst Bek, und er verwob sie auf unmissverständliche Weise. Bruder und Schwester, eine Familie.
Lange, lange Zeit bemühte er sich in aller Ruhe und geduldig, sie zu sich herüberzuziehen und einen Weg zu ihr zu finden, obwohl er wusste, dass es nicht einfach werden und dass sie sich wehren würde. Er wiederholte die Zeilen wieder und wieder, jedes Mal mit neuer Frische, stets in der Hoffnung, er könne eine Reaktion hervorrufen. Des Weiteren spielte er mit Farbe und Licht, mit Geruch und Geschmack, und er verband seine Musik mit dem Gefühl der Welt, mit dem Leben und seinen Belohnungen. Komm zurück zu mir, sang er. Komm nur aus dem Schatten, dann werde ich dir helfen. Doch nichts führte zum Erfolg. Sie starrte ins Feuer, starrte ihn an, starrte in die Nacht und blinzelte nicht ein einziges Mal. Sie schaute durch die Welt zu einem leeren Ort, der sie vom Leben abschirmte, und sie kam nicht hervor.
Niedergeschlagen und müde gab er schließlich auf. Morgen würde er es erneut versuchen, versprach er sich. Er war überzeugt davon, es zu schaffen.
Sekunden, nachdem er sich zurückgelehnt hatte, war er eingeschlafen.
Am nächsten Tag stiegen sie höher in die Berge und fanden einen Pfad mit verschlungenen Serpentinen und häufigen Kletterpartien. Grianne folgte Bek gehorsam, aber über die steileren Stücke musste er sie tragen. Der Weg war mühselig, und im Westen verdunkelte ein heranziehender Sturm den Himmel.
Irgendwann hörte er das Tosen eines gewaltigen Bergrutsches, und danach stieg am Horizont im Westen eine riesige Staubwolke zum Himmel auf.
Bei Einbruch der Nacht hatte Regen eingesetzt. Sie suchten Schutz unter einer großen Fichte und lagen auf einem Bett aus Tannennadeln, die warm und trocken blieben. Mit dem Regen fiel auch die Temperatur. Bek zog den Mantel enger um Grianne und sang wieder für sie, und abermals starrte sie durch ihn hindurch zu fernen Orten.
In dieser Nacht lag er länger wach und lauschte dem leisen Prasseln der Tropfen, während er sich fragte, was er eigentlich tun sollte. Er hatte keine Ahnung, wo er war und in welche Richtung es weiterging. Bis jetzt hatte er sich auf das Versprechen der Gestaltwandler verlassen, dass er auf etwas zuging und nicht von etwas fort. Ganz allein wanderte er durch diese Welt, nur seine verstummte, hilflose Schwester begleitete ihn, und seine Freunde waren entweder weit verstreut oder gar tot. Er besaß eine Waffe, einen Talisman, eine Stütze, auf die er sich verlassen konnte, aber leider mangelte es ihm an einer klaren Vorstellung, wie er sie einzusetzen hatte. Er war so allein, dass er sich fühlte, als würde er niemals wieder Trost oder Frieden finden.
Am Ende schlief er vor Erschöpfung ein.
Die Dämmerung zog grau und mürrisch herauf wie ein Spiegelbild seiner Stimmung, er erhob sich mutlos und schleppend, und sie machten sich von neuem auf den Weg. Der Sturm brach mittags über sie herein, pfiff über die hohen Gipfel im Norden und rollte die Hänge hinunter, an denen sie hochstiegen. Zuvor war er über dreihundert Meter abgestiegen, da der Pfad nach unten und durch eine Schlucht führte, die sich tief in den Berg grub. Jetzt, da der Wind zunahm und die Kälte bis zu seinen Knochen drang, standen sie abermals auf den Hängen, ohne Schutz. Bek beschleunigte seine Schritte, zog Grianne hinter sich her. Denn um keinen Preis wollte er auf offenem Gelände unterwegs sein, wenn es zu schneien begann.
Kurz darauf fielen die ersten Flocken, groß und gemächlich, aber noch war der Weg frei. Bek drängte weiter voran, und bei einer Gabelung wählte er denjenigen Abzweig, der nach unten zu den Waldgebieten führte. Gerade hatte er diese Zone erreicht, als der Sturm aus den oberen Regionen mit dichtem Graupel und Regen herunterfegte. Alles, das mehr als ein Dutzend Meter entfernt war, verschwand hinter den Niederschlägen. Die Bäume verwandelten sich in Phantome und zogen
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