Shannara VIII
beobachtete sie und schätzte die Wirkung seines Auftritts ab.
»Hast du gedacht, ich hätte nicht mit dir gerechnet, meine kleine Ilse-Hexe?«, fragte er leise mit glatter, fast sanfter Stimme. »Ich kenne dich zu gut. Außerdem habe ich dich zu gut ausgebildet, um nicht zu erwarten, dass du mir entgegengehst.«
»Du hast mich angelogen«, erwiderte sie, kaum fähig, ihren Zorn zu beherrschen. »Über den Druiden, über meine Eltern und Bek, über mein ganzes Leben.«
»Manchmal sind Lügen notwendig, wenn man sein Ziel erreichen will. Lügen machen oft möglich, was sonst nie zu erlangen wäre. Fühlst du dich ausgenutzt?«
»Ich fühle mich wie jemand, der zu etwas gemacht wurde, das mir widerwärtig ist.« Vorsichtig trat sie einen Schritt vor und suchte nach Löchern in seiner Abwehr. Sie spürte, wie sich seine Macht aufbaute und ihn umgab wie die Hitze ein Feuer. In Kürze würde er über sie herfallen. Sie war zu langsam gewesen, hatte sich zu sicher gewähnt, und so hatte sie den Vorteil der Überraschung verspielt.
»Du hast dich selbst zu dem gemacht, was du bist«, sagte er. »Ich habe dir nur Unterstützung angeboten. Du hättest dein Leben sowieso verschwendet. Dein Vater hatte sich entschieden, dich dem Druiden vorzuenthalten, und dafür war ich dankbar. Dich mir vorzuenthalten war dagegen ein Fehler.«
»Er wusste überhaupt nichts von dir! Du hast ihn und meine Mutter ohne Grund umgebracht! Du hast mich verschleppt, um mich zu deinem Werkzeug zu machen! Für deine eigenen Ziele hast du mich ausgenutzt, und das hättest du ewig so fortgesetzt, wenn ich nicht die Wahrheit entdeckt hätte!«
Daraufhin zog er die Schultern leicht hoch und gestand damit seine Schuld für alles ein, was sie ihm vorwarf. Er beugte den großen Körper vor, als wolle er seinen Schatten wie ein Netz über sie werfen. »Wie hat dich der Druide von der Wahrheit überzeugen können, kleine Hexe? Vorher hättest du ihm niemals geglaubt. Oder war es dein Bruder?«
Sie hatte nicht vor, es ihm zu erzählen, und eigentlich wollte sie gar nicht mit ihm sprechen. Er sollte nur einfach aus ihrem Leben verschwinden, von der Erde, auf der sie stand, und, falls möglich, auch aus ihrer Erinnerung. Sie hasste ihn mit solcher Inbrunst, dass sie glaubte, in der Enge des Raumes, den sie teilten, seinen Gestank zu riechen - nicht den widerlichen Körpergeruch, sondern die Ausdünstungen seiner Bosheit. Alles an ihm war so abscheulich, und so konnte sie an nichts anderes denken, als von ihm fortzukommen.
»Du hättest mir nicht folgen sollen«, sagte sie und trat einen weiteren Schritt zur Seite, wobei sie ihre eigene Magie aufbaute.
»Und du hättest mich nicht hintergehen sollen«, gab er zurück.
Die Macht des Wunschlieds war aus Erdmagie geboren, ihr Vorfahr Wil Ohmsford hatte sie aus den Elfensteinen aufgenommen und an seine Nachkommen weitergegeben. Wenn man sie beherrschte, konnte man damit fast alles tun, Leben vernichten und Leben retten. Aber der Morgawr verfügte über eine ähnliche und ebenso mächtige Magie. Seine wurzelte direkt in der Substanz seines Wesens und war nicht aus der Erde extrahiert. Empfangen hatte er sie bei seiner Geburt in den dunklen Tiefen des Wildewaldes, und er, der Zauberer und Bruder der Hexenschwestern Mallenroh und Morag, war stets von seiner Machtgier angetrieben worden und hatte sich durch seine Experimente mit lebenden Geschöpfen vervollkommnet. Befallen von einer besonderen Form des Wahnsinns, suchte er nach Wegen, seine angeborene Macht zu vergrößern und auch seine Lebensjahre zu verlängern.
Er hatte schon früh einen Weg gefunden, dies zu verwirklichen, noch als junger Mann, denn er entdeckte, dass er, wenn er sich vom Leben anderer ernährte, gleichzeitig deren Lebensenergie aufnahm. Indem er ihre Seele raubte, erhöhte er seine Lebensdauer und Kraft; und diese Nahrung stillte seinen Hunger wie nichts anderes. Es war leicht, hatte er der Ilse-Hexe vor langer Zeit erklärt, wenn man erst einmal seinen Widerwillen überwunden hatte.
All die Jahre hatte sie seinen Wahnsinn hingenommen, weil sie ihn für ihren Verbündeten hielt, der ihr helfen würde, ihr größtes Ziel zu erreichen - den Druiden Walker zu vernichten. Sie hatte gewusst, was er war, und dennoch hatte sie sich zu seinem Geschöpf machen lassen. Dabei hatte sie sich selbst für ihn verleugnet, obwohl ihr Verstand sie davor warnte. Am Anfang hatte sie so gehandelt, weil sie es als ihre einzige
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