SHANNICE STARR (German Edition)
verletzlich, auch wenn es sich ein dickes Fell zugelegt hatte. Für die raue Schale sorgte die Gesellschaft, die die Rechte eines Bürgers nach seiner Hautfarbe festlegte. Indianer, Schwarze, Chinesen – sie alle waren Lebewesen zweiter Klasse, oftmals mit weniger Privilegien als ein Straßenköter. Shannice Starr hatte all dies am eigenen Leib erfahren. Schon als kleines Mädchen. Sie war ihrer Eltern und ihrer Kindheit beraubt worden. Woran sollte sie noch glauben, außer an ihren eisernen Willen, sich notfalls mit Gewalt ein Anrecht auf Leben zu verschaffen? Sie hatte so viel erlitten. Und sicher war da noch eine Menge mehr, was sie selbst ihm noch nicht gesagt hatte.
Durfte er sie besitzen und nach seinem Gutdünken formen?
Trotz aller Bedenken fühlte er sich zu Shannice mit geradezu magischer Kraft hingezogen …
»In ein paar Stunden breche ich auf«, zog Cassidy einen Schlussstrich unter die Debatte.
»Ja, tu das …«, hauchte Shannice und küsste seinen Hals. Die Berührung ihrer samtenen, feuchten Lippen auf seiner Haut tat ihm unaussprechlich gut. Was aber faszinierte ihn so an diesem Mädchen, das er vor zwei Jahren aus reinem Gerechtigkeitsempfinden vor dem Galgen gerettet hatte? War es wirklich nur ihr junger, in der Liebe erfahrener Körper, den er besitzen wollte? War es die unbefangene Art der Zweiundzwanzigjährigen, die ihn zeitweise erheiterte? Oder wollte er sich gar als der allwissende Oberlehrer präsentieren, mit seinem Wissen und seinem Geld prahlen, um sich von einem Mädchen mit großen, wissbegierigen Augen bewundern zu lassen?
Cassidy ließ sich von seiner Haushälterin frische Wäsche für die Reise zusammenpacken. Dann stand er mit seinem Handgepäck und einer Aktenmappe in der Tür und wandte sich zum Gehen.
Don › Dutch ‹ Johnson klopfte ihm brüderlich auf die Schulter. »Viel Erfolg, Alter. Und mach dir keine Sorgen: Ich pass auf deine Hütte auf.«
»Gut, das zu wissen«, nickte Cassidy ihm zu, sah jedoch an seinem Freund vorbei und zu Shannice hinüber, die gefassten Schrittes herantrat. Kommentarlos presste sie ihren Mund auf den seinen, umschloss ihn leidenschaftlich und wünschte, dass dieser Augenblick nie enden würde.
»Na, wenn das keine Liebe ist«, legten sich Johnsons Worte wie eine Aura aus Eis über Shannices innige Empfindungen und ließen sie erstarren. Der Moment des Glücks zerbrach wie eine achtlos umgestoßene Porzellanvase.
»Alles Gute, mein Schatz«, strahlte sie Douglas an. Der fühlte, dass Shannice nur gute Miene zum bösen Spiel machte. Die Stunden und Tage seiner Abwesenheit würden ihre Seele martern. Doch es war nun einmal nicht zu ändern. Es galt, an die Zukunft zu denken. Und eine Zukunft, deren Fundament nur aus Luft und Liebe zusammengefügt war, hatte keinen Bestand. Was ebenso zählte, waren Gold und harte Dollars. Deshalb musste er fort. Deshalb musste er die Frau, die ihm alles bedeutete – davon war er nun felsenfest überzeugt –, zurücklassen.
»Ich nehme den Zweispänner runter in die Stadt. Der Stallbursche soll ihn später abholen.«
Cassidy zog die Haustür hinter sich zu. Shannice stand am Fenster und beobachtete, wie die Kutsche Minuten später den Zufahrtsweg hinunterrollte. Die hochstehende Sonne schickte ihre sengenden Strahlen über das Land, und in der flirrenden Hitze des Nachmittags zerfranste die wippende Silhouette des Gespanns in der Ferne zu einem weißgelben Nichts.
Noch lange stand Shannice Starr an dem Fenster mit der zurückgezogenen Gardine, als könne sie den lange entschwundenen, winzigen Punkt am Horizont mit der Kraft ihrer Gedanken zur Umkehr bewegen. Sie spürte ein leises Kribbeln auf der Haut, dem sie jedoch keine Beachtung schenkte. Und so bemerkte sie auch nicht den Blick von › Dutch ‹ Johnson, der sich hinter ihr aufgebaut hatte und mit mehr als offensichtlichen Absichten Zoll um Zoll ihres makellosen Körpers taxierte …
Es war gegen halb neun, als die drei Bewohner des prachtvollen Vorstadthauses gemeinsam am Tisch saßen und eine köstlich zubereitete Mahlzeit der Mexikanerin verzehrten. Shannice hatte darauf bestanden, dass Conchita sich wie üblich zu ihnen setzte, obwohl die robuste Frau mit der dunklen Hautfarbe eigentlich hatte zu Bett gehen wollen. Shannice war es jedoch gelungen, sie zu überreden, wenigstens bis nach dem Essen zu warten. Die Halbindianerin wollte keinesfalls länger als nötig mit dem ihr fremden Gast alleine sein. Auch wenn sie dies nicht mit
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