SHANNICE STARR (German Edition)
Verzug war, obwohl alles um ihn herum friedlich und ruhig war. Dennoch konnte hinter jeder Tür und jeder Mauer ein Heckenschütze lauern. Tex Orchid stand völlig frei auf der Main Street und hatte lediglich seinen Grauen, hinter dem er Deckung suchen konnte. Falls die Banditen also damit rechneten, verfolgt zu werden, bot Hebron den perfekten Hinterhalt, um lästige Schnüffler spielend auszuschalten.
Unbewusst schloss der Sheriff seine Rechte um den Colt. Er wollte seine Haut so teuer wie möglich verkaufen. Ein Zurück hingegen gab es für ihn nicht mehr. Er hatte sich entschieden, den Kampf aufzunehmen, egal wie ungünstig die Zeichen standen. Wachsam und auf jedes noch so unbedeutende Geräusch achtend ging er weiter, bis er einen alten Schuppen erreichte. Die Schleifspuren des Tores zeichneten sich auf dem Untergrund ab; es musste vor Kurzem noch aufgezogen worden sein.
Beinahe war es zu einfach. Sollten sich die Postkutschenräuber tatsächlich in der Nähe aufhalten oder sich gar in dem Schuppen befinden, würde Orchid ihnen ein heftiges Gefecht liefern und danach die Toten und Verwundeten einsammeln.
Ohne einen Laut zu verursachen lehnte er sich an das Tor und horchte. Es war nichts zu hören. Doch das musste nichts heißen. Den Colt in der Faust umrundete Orchid die Scheune, suchte nach einem Schlupfloch, durch das er ins Innere gelangen und die Flüchtenden stellen konnte. Hatte er das Überraschungsmoment auf seiner Seite, war der Rest ein Kinderspiel.
So glaubte er zumindest.
Auf der Rückseite des Gebäudes fand der Sheriff rasch, was er suchte. Zwei lockere Bretter, die sich leicht entfernen ließen, konnten ihm zu einem unerwarteten Auftritt verhelfen. Schon machte sich Tex Orchid daran, die Verkleidung zu lösen, als ihn ein nur allzu vertrauter Laut innehalten ließ. Seine Nackenhaare richteten sich auf, und ein eisiger Schauer fuhr ihm durch die Glieder.
Das Spannen eines Abzugshahn hatte die Stille zerrissen. Einen Lidschlag darauf wiederholte sich das Geräusch, sodass der Sheriff wusste, dass mindestens zwei Mündungen auf ihn gerichtet waren.
Und er präsentierte ihnen seinen ungeschützten Rücken! Sobald er auch nur versuchte, sich herumzudrehen, würden ihn die Kugeln der versteckten Schützen durchlöchern.
Ich bin in jedem Fall tot!, raste der Gedanke durch Orchids Kopf. Es lag kein Bedauern in der Feststellung oder eine Schuldzuweisung für sein unbedachtes Handeln.
Sein Gesicht wurde zu einer steinernen Maske grimmiger Entschlossenheit – und dann handelte er ohne Zögern!
Das erste Erwachen nach langem, unruhigem Schlaf und anhaltender Bewusstlosigkeit war von stechendem und ziehendem Schmerz begleitet. Rick Montana wälzte sich stöhnend zur Seite, merkte, dass er keine Linderung fand, und drehte sich zurück auf den Rücken. Seine Augen tränten leicht, und es fiel ihm auffallend schwer, seinen Körper ruhig zu halten. Schließlich fand er die Kraft, sich ein kleines Stück aufzurichten, auch wenn es ihm schier Brust und Bauchdecke zerreißen wollte. Sein verschleierter Blick wanderte über die weiße Bettdecke und durch den Raum, bis er auf einen Mann traf, der schweigend und in ein Buch versunken an einem Tisch saß. Dieser Mann musste die Geräusche, die Montana ganz zwangsläufig verursacht hatte, gehört haben, doch er ließ sich in seiner Ruhe nicht stören, las das Kapitel seines Buches zu Ende und wandte sich erst dem Patienten zu, als er gemächlich ein Lesezeichen eingelegt und die Buchdeckel geschlossen hatte.
»Schön, dass Sie wieder unter den Lebenden sind«, sagte der Mann und erhob sich von seinem Stuhl.
Montana wischte mit dem Handrücken über seine Augen; sein Blick klärte sich. Vor sich sah er einen Fremden in bodenweiter, schwarzer Kutte. Er trug dunkles, schulterlanges, strähniges Haar und einen Vollbart. Aber das war es nicht, was Rick Montana fast magisch anzog. Hervorstechendstes Merkmal des Unbekannten waren dessen eisgraue Augen, die wirkten, als könnten sie selbst die Hölle zufrieren lassen. Der Blick war von einer Unbarmherzigkeit, die auf eine Menge leidvoller Erlebnisse schließen ließ. Und wie ein Arzt sah er allemal nicht aus. Die Frage lautete nun, was eine solche Person von ihm wollte.
»Wer sind Sie?«, brachte Montana stockend hervor.
Der Fremde kam näher. Das kleine Buch, in dem er gelesen hatte, hielt er gleich einem schützenden Schild an seine Leibesmitte gepresst. »Mein Name ist Morgan Troy. Ich bin der Reverend
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