SHANNICE STARR (German Edition)
stiefelte über die Veranda zum Stall. Grübelnd blickte Shannice ihm nach. Täuschte sie sich oder verschwammen tatsächlich seine Konturen vor ihren Augen? Sie machte einen Schritt vorwärts und bemerkte, dass ihre Knie butterweich geworden waren. Fast wäre sie gestürzt, konnte sich jedoch an einem Pfosten des Gebäudes festhalten.
»Ist Ihnen nicht gut, Miss?« Es war Ruth McPherson, die gesprochen hatte. Wie durch Watte drangen die Worte an Shannices Ohr. Der Hohn, der in ihnen mitschwang, war jedoch unüberhörbar.
»Der Kaffee!«, stieß Shannice hervor. »Sie haben ein Gift beigemischt!«
»Nur ein Schlafmittel«, hörte Shannice Wortfetzen. »Allerdings eines, das einen Jungbullen umhaut.«
Shannice sackte entlang des Holzpfostens nieder. Selbst auf den Knien konnte sie sich nicht mehr halten und kippte schlaff zur Seite. Sie blinzelte verstört und fühlte die Lähmung, die ihren gesamten Körper erfasste. Einmal schloss sie die Augen, und als sie sie wieder öffnete, starrte sie in das ausdruckslose Antlitz von Henry.
»Das passiert mit Leuten, die zu neugierig sind!«, zischte er gereizt.
Shannice lag eine Erwiderung auf der Zunge, doch diese gehorchte ihr nicht mehr. So öffnete sie lediglich den Mund, um einige unartikulierte Laute von sich zu geben.
»Mundtot machen nennt man das wohl.« Ruth McPherson gab ein krächzendes Lachen von sich. »Wir warten, bis Dean und dieser Garth zurück sind«, gab sie ihrem Sohn weitere Anweisung. »Dann verscharrt ihr das rote Weibsbild in den Plains. Aber macht es so, dass sie noch etwas von ihrer Beerdigung hat. Sie soll die Verzweiflung spüren und die knapper werdende Luft, wenn sie ohne Aussicht zu entkommen sechs Fuß unter der Erde liegt …«
Noch während sich der Schuss löste, wirbelte Trevor Smith einmal um seine Achse, entging Dean McPhersons Kugel, die hinter dem Tresen in einen Spiegel schlug, und riss seinen Colt aus dem Halfter. Er brauchte nur ein einziges Mal abzudrücken.
Dean schrie entsetzt auf, als ihm der Revolver aus der Hand geprellt wurde und er in die rauchende Mündung von Smiths Waffe stierte.
»Letzte Warnung«, sagte Trevor Smith. Er hielt den Colt nah bei der Hüfte. Ein geübter Schütze wie er brauchte nicht zu zielen; er wusste genau, wohin der Lauf zeigte und was er treffen würde.
»Sie hatten einfach nur Glück«, meinte Dean beschämt und bückte sich nach seinem Revolver. »Das gelingt Ihnen kein zweites Mal.«
»Sicher nicht.« Smith zeigte den Anflug eines Lächelns, wurde aber sofort wieder ernst. »Bevor wir aber eine weitere Probe aufs Exempel machen, habt ihr die Gelegenheit, euch bei den Ladys zu entschuldigen.« Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter zur Treppe, über die Angelica notdürftig angezogen auf bloßen Füßen ins Erdgeschoss tappte.
»Elender Hund!«, deutete sie auf Dean. »Der Drecksack hat mir eine verpasst!«
Trevor Smith sah das blutverschmierte Gesicht des Freudenmädchens, löste sich vom Tresen und stiefelte gemächlich auf Dean zu.
»Da ist dir aber ordentlich die Hand ausgerutscht, Kleiner.«
»Nennen Sie mich nicht ›Kleiner‹!«, kochte der Zorn erneut in Dean hoch. Das Pistolenduell war schon wieder vergessen; jetzt hieß es Mann gegen Mann.
»Ein echter Kerl schlägt keine Frau.« Smith holte blitzartig mit der Rechten aus, sodass die Bewegung kaum zu verfolgen war, und klatschte Dean seine Handfläche wuchtig gegen die Wange. Noch bevor der junge McPherson reagieren konnte, traf ihn auch schon die Linke des Revolvermannes. Im Saloon brandete Gelächter auf.
Zornesröte überzog Deans Gesicht. Seine rechte Faust schoss vor, wurde jedoch von Smith abgewehrt und mit einem trockenen Haken in die Nierengegend beantwortet. Stöhnend krümmte sich Dean.
»Ich warte immer noch auf eure Entschuldigung.« Kurz nur streifte Trevor Smiths Blick den reglos zuschauenden Garth, der wie aus einem Traum zu erwachen schien und Angelica entgegeneilte.
»Es tut mir sehr leid«, brummte er und senkte sein Haupt. Angelica stieß ihn rüde von sich.
»Der andere soll sich entschuldigen!«, fauchte sie.
Noch einmal versuchte Dean eine Attacke, machte einen Satz nach vorn und gegen Smith, der den Aufprall abfing und Dean seinen Ellbogen krachend in den Rücken rammte, sodass dieser haltlos zu Boden stürzte und sich gerade noch mit den Händen abfangen konnte, bevor er mit dem Gesicht aufschlug. Stählerne Finger krallten sich in seine Haare und zogen ihn von den Brettern.
Weitere Kostenlose Bücher