SHANNICE STARR (German Edition)
einfach nur nachlässig oder überhaupt nicht gezielt, sonst hätte es ihn voll erwischt.
Bauern eben, sagte sich Dread und legte seinen Smith & Wesson Schofield Kaliber 45 an. Seine Hand war wie verwachsen mit diesem Instrument der Gewalt. Die Linke fächerte gedankenschnell über den Hahn. Die Trommel klackte im Hochgeschwindigkeitstakt herum, während Patrone um Patrone aus dem Lauf gejagt wurde. Immer in die Richtung, aus der die Mündungsfeuer seiner Feinde aufgeblitzt waren.
Noch bevor der Abzugshammer auf eine leere Kammer traf, hatte sich Josh Dread bereits zur Seite in den Schutz einiger Felsbrocken gerollt. Dort, wo er eben noch gehockt hatte, spritzten Dreck und Schnee auf.
Das Mondlicht verdunkelte sich ein wenig. Trotzdem waren deutlich mehrere schattenhafte Gestalten zu erkennen, die auf der sich verbreiternden Seite des schmalen Trails ihre Position wechselten.
Sollte ich tatsächlich sechsmal daneben geschossen haben?, fragte sich Dread nicht ohne Sarkasmus. Bedächtig lud er seinen Revolver nach und pfiff den Rappen heran. Beruhigend klopfte er ihm auf den Hals und zog seine 44er Winchester aus dem Scabbard.
Auf zur nächsten Runde!, sagte sich Dread entschlossen.
Ein, zwei lange Sekunden blieb Shannice bewegungslos auf dem Boden liegen. Der Donner der Explosion, die sie vom Rücken des Pferdes geschleudert hatte, war verhallt. In ihren Ohren hämmerte das Stakkato sich rasch entfernender Pferdehufe.
Derjenige, der sie angegriffen hatte, musste ganz in ihrer Nähe sein. Shannice stellte sich tot, drehte jedoch unmerklich den Kopf zur Seite, um zumindest ihren Widersacher ins Visier nehmen zu können.
Und tatsächlich: Zwischen den Bäumen, auf der Anhöhe ihr genau gegenüber, tänzelte eine Gestalt über die seicht zum Trail abfallenden Felsen. Die Richtung, die der Mann dabei einschlug, ließ die Vierundzwanzigjährige vermuten, dass er sie noch nicht entdeckt hatte oder zumindest annahm, sie sei außer Gefecht gesetzt. In seiner Sorglosigkeit schien er sich einzig und allein für Dread zu interessieren.
Shannice Starr spannte die Muskeln an. Heiß rauschte das Blut durch ihre Adern. Erleichtert stellte sie fest, dass sie sich bei dem Sturz nichts getan hatte und voll einsatzfähig war.
Was aber konnte sie tun? Sie besaß keine Waffe.
Der Kerl war einige Schritte den Bergpfad entlanggegangen und drehte der Halbindianerin nun seine Kehrseite zu. Sie stützte sich auf einen Ellbogen und richtete sich leicht auf. Shannice zerbiss den Schmerz zwischen den Zähnen, der plötzlich gleich einer Lanze zwischen ihren Schulterblättern hindurch die Brust durchbohrte. Die gnadenlose Kälte machte den Körper unempfindlicher für Verletzungen, und manchmal bemerkte man das wirkliche Ausmaß einer Verwundung viel zu spät.
Plötzlich schrak Shannice unter dem Eindruck, den ihre fassungslos geweiteten Augen ihr vermittelten, zusammen.
Verdammter Yankee! , jagten sich ihre Gedanken.
Der Meuchelmörder hielt zwei Dynamitstangen in seinen Händen. Die eine brannte bereits; die andere zündete er mit der Lunte der ersten ebenfalls an. Es blieben nicht mal mehr Sekunden, um zu handeln.
Shannices Finger zerfurchten den Schnee auf der Suche nach einem Gegenstand, der sich als Waffe verwenden ließ. Und ihre unterkühlte Hand fand einen Stein.
Der Kerl hob den rechten Arm, holte aus …
Shannice sprang hoch und gleichzeitig nach vorne, missachtete das Ziehen und Stechen in ihrem Leib und legte jedes Quäntchen an Kraft, das sie mobilisieren konnte, in ihren Wurf.
Das faustgroße Geschoss traf den dunkel Gekleideten am Hinterkopf, bevor dieser seine Ausholbewegung umkehren und die Dynamitstange fortschleudern konnte. Auf der Höhe seiner Schulter entglitt sie den kraftlosen Fingern, während der Körper des Mannes schlaff in sich zusammensackte.
Augenblicklich hatte sich Shannice mit dem Gesicht nach unten in den Schnee fallen lassen und die Arme über dem Kopf verschränkt. Daher konnte sie nicht mehr sehen, dass, noch bevor die leblosen Gliedmaßen des Fremdlings den vereisten Grund berührten, eine der Zündschnüre abgebrannt war.
Es gab einen verheerenden Knall. Einen flüchtigen Gedanken später den zweiten. Der Abstand war derart gering, dass die beiden Explosionen sich fast wie eine anhörten.
Die Druckwelle jagte heran – und Shannice fühlte sich in die Luft gehoben, wurde wie ein Blatt im Orkan herumgeschleudert und prallte unsanft gegen die Felsen. Weich und warm regnete es auf
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