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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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trotz Chrom und Glamour nur selten zugestand.
    Die Gegend zwischen Nana Chowk und Tardeo war als Parsenviertel bekannt. Anfänglich hatte es mich überrascht, dass eine so vielgesichtige Stadt wie Bombay mit ihrer endlosen Vielfalt an Völkern, Sprachen und Beschäftigungen eine Neigung zur Nischenbildung aufwies. Die Juweliere hatten ebenso ihren eigenen Basar wie die Mechaniker, Installateure, Schneider und andere Handwerker. Die Muslime lebten in einem eigenen Viertel, ebenso wie Christen, Buddhisten, Sikhs, Parsen und Jaina. Wenn man Gold kaufen oder verkaufen wollte, ging man auf den Zhaveri Basar, wo man von Hunderten von Goldschmieden umworben wurde. Wer eine Moschee besuchen wollte, fand mehrere dicht beieinander.
    Doch nach einer Weile merkte ich, dass die vielen Trennlinien in dieser gewaltigen, multikulturellen Stadt nicht so starr waren, wie sie schienen. Im muslimischen Viertel gab es auch hinduistische Tempel, auf dem Zhaveri Basar fand man auch Obststände zwischen all dem glitzernden Schmuck, und neben fast jedem Hochhaus mit Luxusapartments stieß man auf einen Slum.
    Abdullah parkte das Motorrad vor dem Bathia Hospital, das zu einer Reihe moderner Krankenhäuser und Kliniken gehörte, die von wohltätigen parsischen Stiftungen finanziert wurden. Das große Gebäude beherbergte sowohl teure Abteilungen für Reiche als auch Behandlungszentren, in denen Arme kostenlos versorgt wurden. Wir stiegen die Eingangstreppe hinauf und betraten ein blitzsauberes in Marmor gehaltenes Foyer, das von großen Ventilatoren angenehm gekühlt wurde. Abdullah sprach kurz mit dem Mann an der Pforte und führte mich dann durch einen Flur zur kombinierten Aufnahme- und Unfallstation, wo reger Betrieb herrschte. Nachdem er einen Pförtner und eine Krankenschwester gefragt hatte, fand er schließlich den Mann, den er suchte – einen kleinen mageren Arzt, der an einem unordentlichen Schreibtisch saß.
    »Doktor Hamid?«, fragte Abdullah.
    Der Arzt schrieb weiter, ohne aufzublicken.
    »Ja, ja«, sagte er mürrisch.
    »Ich komme von Sheikh Abdel Khader. Mein Name ist Abdullah.«
    Der Kugelschreiber verharrte auf der Stelle, und Doktor Hamid hob langsam den Kopf und betrachtete uns mit einer Art ängstlichen Neugierde. Diesen Gesichtsausdruck sieht man häufig bei Menschen, die bei einer Schlägerei zuschauen.
    »Er hat Sie gestern angerufen und mich angekündigt«, fügte Abdullah ruhig hinzu.
    »Ja, ja, natürlich.« Hamid gewann seine Fassung wieder und lächelte entspannt. Er stand auf und reichte uns über den Schreibtisch hinweg die Hand.
    »Das ist Mr. Lin«, stellte Abdullah mich vor, als ich die Hand des Arztes schüttelte, die sich trocken und sehr fragil anfühlte. »Er ist Arzt in der Barackensiedlung von Colaba.«
    »Nein, nein«, protestierte ich. »Ich bin kein Arzt. Ich bin eher zufällig zu dieser Tätigkeit gekommen. Als Aushilfe sozusagen. Und ich … ich habe auch keine Ausbildung und bin wirklich nicht … nicht sehr gut.«
    »Khaderbhai hat mir erzählt, dass Sie sich bei ihm beklagt hätten wegen der Patienten, die Sie an das St. George und andere Krankenhäuser überweisen.« Hamid kam gleich zur Sache und ignorierte meinen Einwand mit der Miene eines Mannes, der zu beschäftigt ist, um auf derlei Höflichkeiten einzugehen. Seine dunkelbraunen, beinahe schwarzen Augen schimmerten hinter den blanken Gläsern seiner Goldrandbrille.
    »Ja, stimmt«, antwortete ich, überrascht, dass Khaderbhai sich an unsere Unterhaltung erinnert und sie für wichtig genug erachtet hatte, um dem Arzt davon zu erzählen. »Mein Problem ist, dass ich blindfliege, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich weiß einfach nicht genug, als dass ich alle Krankheiten behandeln könnte, mit denen die Leute zu mir kommen. Wenn ich nicht weiß, was sie haben, oder wenn ich mir unsicher bin, schicke ich die Leute zur Diagnose ins St. George Hospital. Ich weiß nicht, was ich sonst mit ihnen machen soll. Aber sie kommen immer wieder zu mir zurück, weil sich dort niemand um sie gekümmert hat, weder Arzt noch Krankenschwester noch sonst jemand.«
    »Und halten Sie es für möglich, dass diese Leute ihre Krankheit nur vortäuschen?«
    »Nein. Ganz sicher nicht.« Ich fand diese Unterstellung beleidigend, ein bisschen für mich selbst, vor allem aber für die Slumbewohner. »Sie hätten nichts davon, sich krank zu stellen. Außerdem sind es stolze Menschen, die nicht ohne Grund um Hilfe bitten.«
    »Natürlich«, murmelte er, setzte seine

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