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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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streckte zittrig die Arme aus und lehnte mich vorsichtig an das zottlige Fell von Kano, dem Bären. Unter dem Pelz fühlte er sich erstaunlich weich, beinahe pummelig an. Die kräftigen Vorderpfoten jedoch bestanden aus festen Muskeln, und sie umschlossen nun meine Schultern mit einer massiven Kraft, einer Wucht, die nicht menschlich war. Und ich fühlte mich ganz und gar hilflos.
    Ein furchterregender Gedanke schoss mir durch den Kopf: Kano konnte mir so mühelos das Genick brechen, wie ich einen Bleistift zerbrach. An meinem Ohr hörte ich das tiefe Brummen aus seinem Inneren, und der Geruch von feuchtem Moos stieg mir in die Nase, gemischt mit anderen Gerüchen, die an neue Lederschuhe und die Wolldecke eines Kindes erinnerten. Über allem lag ein durchdringender Ammoniakgeruch, wie er entsteht, wenn man einen Knochen aufsägt. Die Menge verstummte nach und nach. Kano war warm. Kano wiegte sich hin und her. Der Pelz unter meinen Fingern fühlte sich weich an, und darunter spürte ich Hautfalten wie am Hals eines Hundes. Ich krallte mich in das Fell und ließ mich wiegen. Ich schien zu schweben in dieser kraftvollen Umarmung, oder vielleicht sank ich auch hinab in die Tiefe eines erhabenen Orts, der unerhörten Frieden verhieß.
    Hände rüttelten mich an der Schulter, und als ich die Augen aufschlug, sah ich, dass ich auf die Knie gesunken war. Kano, der Bär, hatte mich losgelassen und tappte schon mit seinem schwankenden schwerfälligen Gang die Gasse entlang, gefolgt von seinen Führern, der Menschenmenge und den tobenden Hunden.
    »Linbaba, bist du gut?«
    »Ja, ja. Muss … mir muss schwindlig geworden sein oder so.«
    »Hat er dich prima ordentlich gedrückt, der Kano, ja? Hier deine Nachricht.«
    Ich ging in meine Hütte zurück und ließ mich an meinem aus Holzkisten gezimmerten Tisch nieder. In dem zerknitterten gelben Umschlag steckte ein mit Schreibmaschine geschriebener Brief. Er war auf Englisch, und ich nahm an, dass er von einem der professionellen Briefschreiber an der Street of the Writers getippt worden war. Der Brief stammte von Abdullah.
    Mein lieber Bruder, Salaam aleikum. Du hast mir gesagt du gibst Leute Bärenumarmung. Ich denke das ist Sitte in deinem Land und wenn ich das auch sehr eigenartig finde und nicht verstehe, denke ich doch, du musst einsam sein, weil Bären in Bombay knapp sind. Deshalb schicke ich dir einen Bären zum Umarmen. Wünsche großes Vergnügen. Ich hoffe er ist wie Umarmbären in deinem Land. Ich habe viele Geschäfte und bin gesund, Dank sei Gott. Nach den Geschäften werde ich bald nach Bombay zurückkommen, Inshallah. Gott segne dich und deinen Bruder. Abdullah Taheri
    Prabaker stand links neben mir, blickte ungeniert über meine Schulter und las die Nachricht langsam laut vor.
    »Aha, ist das dieser der Abdullah, wo ich nicht soll sagen, dass er alle diese schlimme, böse Sachen tut, aber tut er sie wirklich, sogar gleichzeitig wie ich es dir nicht sage … dass er sie tut.«
    »Es ist unhöflich, die Briefe anderer Leute zu lesen, Prabu.«
»Ja, klar es ist unhöflich. Bedeutet unhöflich, dass wir es tun prima
    gerne, auch wenn wir nicht tun sollen, ja?« »Wer sind diese Bärenmänner?«, fragte ich ihn. »Wo wohnen sie?« »Verdienen sie Geld mit der Tanzbär. Kommen sie aus U. P. eigentlich,
    aus Uttar Pradesh, in Norden von unserer Mutter Indien, aber machen sie reisen überall herum. In diese Moment sie wohnen im Zhopadpatti bei Navy Nagar. Soll ich hinbringen dein gute Selbst?«
    »Nein«, murmelte ich und las den Brief noch einmal. »Nein, jetzt nicht. Vielleicht später.«
    Prabaker ging zur offenen Tür meiner Hütte, blieb dort stehen und betrachtete mich nachdenklich, den kleinen runden Kopf zur Seite geneigt. Ich steckte die Nachricht in die Tasche und schaute zu ihm hoch. Ich hatte den Eindruck, dass er etwas sagen wollte – er runzelte konzentriert die Stirn –, doch dann überlegte er es sich offenbar anders. Er zuckte die Achseln. Und lächelte.
    »Kommen sie heute, die kranke Leutes?«
    »Ein paar, glaube ich. Später.«
    »Na gut – wir sehen uns bei das große Mittagessen, oder?«
    »Klar.«
    »Brauchst du … brauchst du mich, um irgendwas zu tun?«
    »Nein danke.«
    »Soll mein Nachbar, seine Frau, dein Hemd waschen?«
    »Mein Hemd waschen?«
    »Ja, riecht es nach Bär. Riechst du nach Bär, Linbaba.«
    »Das ist schon recht«, sagte ich lachend. »Irgendwie gefällt es mir sogar.«
    »Na gut, dann ich gehe jetzt. Fahr ich es das Taxi

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