Shantaram
haben?«
»Ja.«
»Warum das denn?«
»Einer von ihnen war … plötzlich sehr beschäftigt«, sagte sie leise.
»Beschäftigt womit?«
»Da er gegen diverse Gesetze verstoßen hat, wäre es ihm vermutlich nicht sonderlich recht, wenn ich darüber reden würde.«
»Hast du ihn rausgeschmissen?«
»Nein.«
Sie sagte das entschieden, aber mit derart offensichtlichem Bedauern, dass ich nicht weiter nachhakte.
»Und … der andere?«
»Das willst du nicht wirklich wissen.«
Ich wollte es durchaus wissen, doch sie wandte sich ab und blickte aus dem Fenster, und die Geste war Warnung und Verbot zugleich. Ich hatte gehört, dass Karla früher mit einem gewissen Ahmed zusammengelebt hatte, einem Afghanen. Doch es wurde nur selten darüber gesprochen, und ich nahm an, dass die beiden sich schon vor Jahren getrennt hatten. In dem einen Jahr, seit ich Karla kannte, hatte sie immer allein in ihrer Wohnung gelebt, und bis zu diesem Moment war mir nicht klar gewesen, wie sehr dieser Umstand mein Bild von ihr geprägt hatte. Mein Bild davon, wer sie war und wie sie lebte. Trotz ihres Einwands, dass sie nicht gern allein sei, hatte ich sie als jemanden betrachtet, der höchstens ab und an Besuch empfängt oder jemanden übernachten lässt, aber nicht mit anderen zusammenwohnt.
Ich betrachtete ihren Hinterkopf und die Andeutung ihres Profils, die kaum wahrnehmbare Wölbung ihrer Brüste unter dem grünen Umschlagtuch, ihre langen, schmalen Finger, die wie zum Gebet gefaltet in ihrem Schoß ruhten – und konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sie mit jemandem zusammenlebte. Frühstück und freie Oberkörper, Klogeräusche und miese Laune, häuslich und halb verheiratet: Das konnte einfach nicht sein, das sprengte mein Weltbild. Absurderweise fiel es mir leichter, mir Ahmed auszumalen, ihren afghanischen Mitbewohner, den ich nie kennen gelernt hatte, als mir Karla in irgendeinem anderen Zustand als alleine vorzustellen – alleine und … vollkommen.
Wir versanken gute fünf Minuten in Schweigen, das untermalt wurde vom langsamen tickenden Metronom des Taxometers. Einem orangefarbenen Wimpel am Armaturenbrett war zu entnehmen, dass der Fahrer wie viele andere Einwohner Bombays aus Uttar Pradesh stammte, dem großen bevölkerungsreichen Bundesstaat im Nordosten Indiens. Unser zähes Vorwärtskommen im stockenden Verkehr gab ihm ausreichend Gelegenheit, uns im Rückspiegel zu mustern. Er war sichtlich fasziniert. Karla hatte ihm in fließendem Hindi eine detaillierte Wegbeschreibung zum Palace gegeben. Wir waren Ausländer, die sich wie Einheimische verhielten. Deshalb beschloss er, uns auf die Probe zu stellen.
»So ein verfickter Verkehr«, brummelte er in Straßen-Hindi vor sich hin. »Die ganze gottverdammte Stadt hat heute Verstopfung.«
»Zwanzig Rupien Trinkgeld wären vielleicht ein gutes Abführmittel«, konterte Karla auf Hindi. »Was machst du da eigentlich, willst du Zeit schinden? Mach mal Tempo, Bruder!«
»Ja, Miss!«, erwiderte der Fahrer vergnügt lachend auf Englisch und bahnte sich seinen Weg durch den Verkehr nun etwas rabiater.
»Also, was war mit ihm?«, fragte ich Karla.
»Mit wem?«
»Mit dem anderen Typen, mit dem du zusammengewohnt hast – der nicht gegen irgendwelche Gesetze verstoßen hat.«
»Er ist gestorben, wenn du’s unbedingt wissen willst«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
»Und … wie ist er gestorben?«
»Angeblich hat er sich vergiftet.«
»Angeblich?«
»Ja«, seufzte sie und ließ den Blick über das Menschengewimmel draußen schweifen.
Wir verfielen wieder in Schweigen, doch dann musste ich die Frage stellen.
»Wem … wem von den beiden haben die Sachen gehört, die ich hier anhabe? Dem Gesetzesbrecher oder dem Toten?«
»Dem Toten.«
»Aah… ja…«
»Ich hab sie für seine Beerdigung gekauft.«
»Scheiße!«
»Scheiße … was ?«, fragte sie und blickte mich stirnrunzelnd an.
»Scheiße … ach, nichts … aber erinnere mich nachher daran, dass ich dich nach dem Namen deiner Reinigung frage.«
»Wir haben die Sachen nicht gebraucht. Er wurde in … in anderen Kleidern beerdigt. Ich habe den Anzug gekauft, aber letztlich haben wir ihn nicht benutzt.«
»Verstehe …«
»Ich hab dir doch gesagt, dass du es nicht wirklich wissen willst.«
»Schon okay«, murmelte ich; insgeheim empfand ich eine herzlose Erleichterung darüber, dass dieser einstige Geliebte tot war, keine Konkurrenz für mich. Ich war damals noch zu jung, um zu wissen, dass
Weitere Kostenlose Bücher