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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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doch mit dieser hatte ich nicht gerechnet. Und damals gab es wahrscheinlich kein Thema, das mich leichter hätte aus der Fassung bringen können. Ich schaute zu Karla, doch die blickte auf ihre Hände und gab mir nicht den leisesten Wink. Ich wusste nicht, worauf Madame Zhou mit dieser Frage hinauswollte. Sie hatte nicht gefragt, ob ich verheiratet, alleinstehend, verlobt oder liiert sei.
    »Ob ich verliebt bin?«, murmelte ich, und die Worte klangen auf Hindi wie eine Beschwörung.
    »Ja, Liebe, die romantische Liebe. Wenn man verträumt sein Herz im Antlitz einer Frau verliert und seine Seele in ihrem Körper. Liebe, Mr. Parker. Sind Sie verliebt?«
    »Ja. Ja, bin ich.«
    Ich weiß nicht, warum ich das sagte. Das Gefühl, dass ich dort auf den Knien vor dem Metallgitter eine Beichte ablegte, verstärkte sich.
    »Wie traurig für Sie, lieber Mr. Parker. Natürlich sind Sie in Karla verliebt. Deshalb hat sie Sie herumgekriegt, diese kleine Rolle für sie zu spielen.«
    »Ich kann Ihnen versichern –«
    »Nein, nein, Mr. Parker, ich kann Ihnen etwas versichern. Oh, es mag schon stimmen, dass Lisas Vater Sehnsucht nach seiner Tochter hat und mächtig genug ist, um seine Beziehungen spielen zu lassen. Aber zu dieser Aktion hat Karla Sie überredet – da bin ich mir ziemlich sicher. Ich kenne meine liebe Karla und ihre Methoden. Denken Sie bloß niemals, keinen Augenblick, dass sie Ihre Liebe jemals erwidern oder die Versprechen halten wird, die sie Ihnen gegeben hat. Und denken Sie niemals, dass Ihnen die Liebe zu ihr jemals etwas anderes als Kummer bringen wird. Karla wird Sie niemals lieben. Das sage ich Ihnen aus reiner Freundschaft, Mr. Parker. Das ist mein kleines Geschenk für Sie.«
    »Bei allem Respekt«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. »Wir sind hier, um über Lisa Carter zu reden.«
    »Natürlich. Wenn ich meine Lisa also mit Ihnen ziehen lasse, wo wird sie dann wohnen?«
    »Ich … ich weiß es nicht.«
    »Sie wissen es nicht?«
    »Nein, ich …«
    »Sie wird –«, setzte Karla an.
    »Halt den Mund, Karla!«, fauchte Madame Zhou. »Ich habe Parker gefragt.«
    »Ich weiß nicht, wo sie wohnen wird«, antwortete ich, so entschieden wie möglich. »Ich würde sagen, das ist allein Lisas Entscheidung.«
    Eine lange Pause folgte. Diese Unterhaltung auf Hindi war extrem anstrengend für mich, und ich fühlte mich auf verlorenem Posten. Die Sache lief denkbar schlecht. Sie hatte mir drei Fragen gestellt, und bei zweien war ich ins Schleudern geraten. Karla war eigentlich meine Führerin in dieser seltsamen Welt, doch sie schien ebenso verwirrt und unsicher wie ich. Madame Zhou hatte ihr den Mund verboten, und Karla hatte das mit einer Unterwürfigkeit hingenommen, die ich nicht von ihr kannte und auch niemals erwartet hätte. Ich griff nach einem der Gläser und trank von dem Nimbu Pani. Der geeiste Limonensaft war mit etwas Scharfem gewürzt, Chili vielleicht. In der Dunkelheit hinter dem Metallrost nahm ich eine schattenhafte Bewegung und ein Flüstern wahr. Ich fragte mich, ob Rajan auch dort drin war, doch ich konnte keine Gestalt ausmachen.
    Sie ergriff wieder das Wort.
    »Sie können Lisa mitnehmen, verliebter Mr. Parker. Aber sollte sie beschließen, wieder zu mir zurückzukommen, werde ich sie nicht mehr gehen lassen. Verstehen Sie? Wenn sie zurückkommt, wird sie hierbleiben, und wenn Sie mich dann erneut belästigen, wird mir das ganz und gar nicht gefallen. Es steht Ihnen natürlich frei, unsere vielen Freuden hier zu genießen, wann immer es Ihnen beliebt, und zwar als mein Gast. Ich würde Sie gerne … entspannt sehen. Vielleicht erinnern Sie sich ja an meine Einladung, wenn Karla mit Ihnen fertig ist? Doch bis dahin vergessen Sie nicht: Falls Lisa zu mir zurückkommt, gehört sie mir. So, und damit ist diese Angelegenheit zwischen uns erledigt: jetzt, hier und heute.«
    »Ja, selbstverständlich, ich verstehe. Danke, Madame.«
    Meine Erleichterung war gewaltig, und ich fühlte mich plötzlich ziemlich schwach. Wir hatten gewonnen. Es war geschafft, und Karlas Freundin konnte mit uns gehen.
    Madame Zhou begann wieder zu reden, sehr rasch und in einer anderen Sprache. Ich vermutete, dass es Deutsch war. Es hörte sich hart, bedrohlich und wütend an, doch damals sprach ich noch kein Deutsch, und womöglich waren die Worte freundlicher, als sie für mich klangen. Karla antwortete von Zeit zu Zeit mit einem Ja oder Natürlich nicht. Sie wiegte sich hin und her. Ihre Hände lagen in ihrem

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