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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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auf dem Bild war noch etwas weitaus Abstoßenderes und Verstörenderes zu sehen als dieses unschöne Gesicht. Eine Botschaft, die sie in roten Druckbuchstaben unter das Foto geschrieben hatte: JETZT IST MADAME ZHOU GLÜCKLICH.

V IERZEHNTES K APITEL
     

    T reten Sie ein, Mr. Lin, treten Sie ein. Nein, bitte, nehmen Sie hier Platz. Wir haben Sie erwartet.« Abdel Khader bedeutete mir mit einer Handbewegung, dass ich mich zu seiner Linken niederlassen sollte. Ich streifte an der Tür, wo bereits andere Schuhe und Sandalen standen, meine Schuhe ab und setzte mich auf das luxuriöse Brokatkissen links neben ihm. Wir befanden uns in einem großen Raum – obwohl wir zu neunt um den niedrigen Marmortisch saßen, nahmen wir nur einen kleinen Teil davon ein. Der Boden bestand aus glatten, cremefarbenen fünfeckigen Fliesen, die an der Stelle, an der wir saßen, von einem Isfahanteppich bedeckt waren. Die Wände und die Deckenkuppel zierte ein Mosaik aus hellblauen und weißen Miniaturen, das den Eindruck vermittelte, man säße unterm Himmelsgewölbe, an dem Wölkchen trieben. Zwei Türbögen öffneten den Raum zu breiten Korridoren hin. Durch drei Fenster mit Sitzbank, die von kunstvollen Säulen eingerahmt und von einer mit arabischen Schriftzeichen bemalten minarettförmigen Spitze gekrönt waren, blickte man auf einen mit Palmen bepflanzten Innenhof, aus dem das leise Gluckern und Plätschern eines Kaskadenbrunnens zu vernehmen war.
    Der Raum strahlte eine sorgsam gestaltete Mischung aus Erlesenheit und Schlichtheit aus. Einzige Möbelstücke waren der niedrige Marmortisch und die neun in gleichmäßigem Abstand auf dem Boden verteilten Kissen, und einziger Dekor war eine gerahmte Darstellung der Kaaba in Mekka in Schwarz und Blattgold. Die acht Männer, die auf den Kissen saßen oder lagen, schienen sich in dieser schmucklosen Nüchternheit wohlzufühlen, und sie konnten fraglos frei entscheiden, womit sie sich umgaben, denn sie hatten Anteil am Reichtum und der Macht eines kleinen Imperiums: eines Imperiums des Verbrechens.
    »Fühlen Sie sich erfrischt, Mr. Lin?«, fragte Khaderbhai.
    Als wir bei dem Haus neben der Nabila-Moschee in Dongri angelangt waren, hatte Nasir mich sofort zu einem großen, gut ausgestatteten Badezimmer geführt, wo ich die Toilette benutzt und mir Hände und Gesicht gewaschen hatte. Bombay war damals auf eine so hemmungslose Art schmutzig wie keine andere Stadt der Welt. Es war nicht nur heiß und drückend schwül; in den acht regenlosen Monaten hing so viel Staub in der Luft, dass sich klebrige Wolken auf sämtlichen Oberflächen niederließen und sie mit jeder erdenklichen Sorte Schmutz bedeckten. Wenn ich mir nach einem halbstündigen Spaziergang durch die Straßen das Gesicht mit einem Taschentuch abwischte, war der Stoff schwarz.
    »Ja, danke. Als ich ankam, war ich müde, aber jetzt bin ich durch freundliche Worte und fließendes Wasser sehr angenehm wiederbelebt.« Ich sprach Hindi, und es fiel mir schwer, meine Aussage humorvoll und kultiviert in einem kurzen Satz zum Ausdruck zu bringen. Wir spüren erst dann, wie wunderbar es ist, sich mühelos in seiner Muttersprache ausdrücken zu können, wenn wir gezwungen sind, uns holprig in einer fremden Sprache zu bewegen. Ich war enorm erleichtert, als Khaderbhai auf Englisch antwortete.
    »Bitte sprechen Sie ruhig Englisch, Mr. Lin. Es freut mich sehr, dass Sie unsere Sprachen lernen, aber heute möchten wir gern Ihre Sprache üben. Jeder von uns hier kann Englisch sprechen, lesen und schreiben, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Ich persönlich habe meine Ausbildung nicht nur auf Hindi und Urdu, sondern auch auf Englisch erhalten. Oft denke ich sogar zuerst auf Englisch. Mein lieber Freund Abdul, der neben Ihnen sitzt, würde Englisch wohl als seine Muttersprache bezeichnen. Und wir alle betreiben unabhängig vom Stand unserer Kenntnisse das Studium der englischen Sprache mit großer Begeisterung, und es ist uns ausgesprochen wichtig. Ich habe Sie heute Abend unter anderem auch deshalb hergebeten, damit wir mit Ihnen, einem Muttersprachler, ein wenig auf Englisch parlieren können. Heute ist unser monatlicher Diskussionsabend, müssen Sie wissen, und unsere kleine Gruppe spricht über – aber Augenblick, erst einmal möchte ich alle vorstellen.«
    Er legte dem vierschrötigen älteren Mann zu seiner Rechten freundlich die Hand auf den kräftigen Unterarm. Der Mann trug die traditionelle grüne Pluderhose und lange Tunika

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