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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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Tapferkeit, und plötzlich schrie der Junge gellend, packte ein Stück Holz und schmetterte es auf die Schnauze des schwarzen Hundes. So fest, dass er das Tier schwer verletzte. Die jaulenden Schmerzensschreie des Rudelführers erhoben sich über das ohrenbetäubende Gebell der Meute und das Kreischen des Jungen.
    »Allah hu Akbar! Allah hu Akbar!«, brüllte Tariq. Er duckte sich und schwang seinen Prügel durch die Luft. Seine Haltung war so raubtierhaft und seine Miene so drohend wie die eines wilden Tiers. In den letzten dieser unwirklich langen Sekunden empfand ich sogar ganz deutlich das Brennen meiner heißen Tränen, als ich ihm zusah, wie er den Prügel schwang, wie er kämpfte, wie er uns verteidigte. Ich sah seine Wirbel, die sich unter dem Hemd abzeichneten, die Umrisse seiner knochigen kleinen Knie unter der Hose. Dieses kleine Bündel Mensch strotzte vor Tapferkeit. Und das Gefühl, das nun unwillkürlich in meinen Augen brannte, war Liebe, reine, stolzerfüllte Liebe eines Vaters für seinen Sohn. In diesen Momenten liebte ich ihn von ganzem Herzen. Während ich mich hastig aufrappelte und die Zeit, dieser zähe Leim aus Angst und Versagen, wieder zu fließen begann, hämmerten in meinem Kopf immer dieselben Worte, Worte aus Karlas Gedicht: Und ich will sterben für diese Liebe. Ich will sterben für diese Liebe.
    Tariq hatte den Anführer des Rudels verletzt, und dieser blieb nun etwas hinter den anderen zurück, was die Tiere einen Moment lang entmutigte. Ihr Heulen wurde lauter und klang plötzlich anders, getrieben und gequält, als peinigte sie ihr Scheitern und als könnten sie es kaum erwarten zu töten. Ich hoffte, dass sie sich vor Frustration gegenseitig anfallen würden, wenn sie uns nicht bald zur Strecke brachten. Doch im nächsten Moment attackierten sie uns ohne Vorwarnung.
    Sie kamen in Zweier- und Dreiergruppen und griffen von zwei Seiten gleichzeitig an. Der Junge und ich kämpften Seite an Seite und Rücken an Rücken, wehrten sie mit verzweifelten Schlägen und Hieben ab. Die Hunde rasten vor Blutgier. Wir schlugen hart zu, doch wenn die Tiere getroffen wurden, duckten sie sich nur einen Moment und stürzten sich dann wieder auf uns, knurrend und schnappend, heulend und zähnefletschend. Als ich mich über Tariq beugte, um ihm zu helfen, drei oder vier Hunde zurückzuschlagen, gelang es einer der Bestien, hinter mich zu flitzen und mir in den Knöchel zu beißen. Mein Lederstiefel schützte mich, und ich jagte das Tier weg, aber ich wusste, dass wir im Begriff waren, zu verlieren. Wir hatten uns bis dicht vor den Holzstapel zurückdrängen lassen und saßen in der Falle: Nur knapp zwei Meter trennten die entfesselte Meute und uns. Plötzlich hörten wir hinter uns ein Knurren, gefolgt vom Knirschen und Klappern von Holz, als jemand auf dem Stapel landete. Ich vermutete, dass sich einige Hunde hinter den Holzstapel geschlichen hatten und darauf sprangen, doch als ich herumfuhr, sah ich die schwarzgekleidete Gestalt von Abdullah, der mit einem riesigen Satz über uns hinweg mitten in die geifernde, schnappende Meute sprang.
    Er wirbelte herum, teilte nach rechts und links aus. Er sprang mit angezogenen Knien hoch und landete mit der geschmeidigen Spannung des trainierten Kämpfers wieder auf dem Boden. Seine Bewegungen waren schnell, fließend und sparsam, so grausam und zugleich wunderschön wie der Angriff einer Schlange oder eines Skorpions: Tödlich. Präzise. Vollkommen. Er hatte sich mit einer Metallstange von rund drei Zentimetern Durchmesser und über einem Meter Länge bewaffnet, die er mit beiden Händen schwang wie ein Schwert. Doch letztlich war es weder die bessere Waffe noch Abdullahs nahezu unheimliche Geschmeidigkeit, die das Rudel in Angst und Schrecken versetzte und in die Flucht schlug. Die Tiere stoben in panischer Angst davon – bis auf zwei, die mit zerschmettertem Schädel zurückblieben –, weil Abdullah den Spieß umgedreht und sie angegriffen hatte, während wir uns nur verteidigt hatten. Er war siegessicher, während wir nur ums nackte Überleben gekämpft hatten.
    Es war schnell vorüber. Nach all dem tosenden Lärm trat endlich Stille ein. Abdullah drehte sich zu uns um, die Metallstange hoch erhoben wie ein Samuraischwert. Das Lächeln auf seinem mutigen jungen Gesicht leuchtete wie das Mondlicht auf dem Minarett der weißen Haji-Ali-Moschee.
    Später, als wir in meiner Hütte heißen, stark gesüßten Suleimani-Chai tranken, erzählte Abdullah, dass er

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