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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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zerfetzten Bündels auch schon überdrüssig geworden und rückte wieder gegen uns vor.
    Da sie meine Waffe erkannten, wagten sich die blutrünstigen Hunde diesmal nicht ganz so nah heran wie zuvor. Aber es waren zu viele. Zu viele, hörte ich mich denken. Es sind zu viele. Es war das größte Rudel, das ich je gesehen hatte. Das wilde Geheul der Meute stachelte einige besonders wütende Tiere so sehr an, dass sie jetzt rundum auf uns vorrückten. Ich hob den dicken Stock und befahl Tariq, auf meinen Rücken zu klettern. Er gehorchte sofort und schlang seine dünnen Arme um meinen Hals, sodass ich ihn huckepack hatte. Die Meute schob sich näher heran. Ein schwarzer Hund, der größer war als die anderen, rannte mit gefletschten Zähnen auf mich zu und stürzte sich auf meine Beine. Ich ließ den Stock mit aller Kraft auf ihn niedersausen, verfehlte seine Schnauze, traf dafür aber mit voller Wucht sein Rückgrat. Das Tier jaulte vor Schmerzen und stob davon. Und damit war die Schlacht eröffnet.
    Einer nach dem anderen griffen sie uns an, von links, von rechts, von vorne. Jedes Mal schlug ich beherzt mit dem Stock zu, um sie abzuwehren. Ich hoffte, dass die anderen Hunde eingeschüchtert würden und die Flucht ergriffen, wenn es mir gelänge, einen der Hunde kampfunfähig zu machen. Aber leider war keiner meiner Hiebe kräftig genug, um die Bestien für längere Zeit abzuschrecken. Sie schienen eher zu spüren, dass der Stock ihnen wehtun, sie aber nicht umbringen konnte, und wurden noch angriffslustiger.
    Unerbittlich rückten sie näher heran, und die einzelnen Angriffe folgten in immer kürzeren Abständen aufeinander. Nachdem ich zehn Minuten lang mit den Bestien gekämpft hatte, war ich schweißgebadet. Ich wusste, dass ich in Kürze immer langsamer reagieren und einer der Hunde vermutlich meine Abwehr durchdringen und mich in den Arm oder ins Bein beißen würde. Und wenn die Tiere erst einmal Blut rochen, wurden sie hemmungslos und furchtlos in ihrer räuberischen Wut. Ich hoffte inständig, dass jemand im Slum das Höllenspektakel hören und uns zu Hilfe kommen würde. Doch ich selbst war schon unzählige Male tief in der Nacht von solchem Gebell am Rand des Slums aufgewacht. Und unzählige Male hatte ich mich umgedreht und weitergeschlafen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden.
    Der große schwarze Hund, offenbar der Anführer des Rudels, griff mit zwei raffinierten Täuschungsmanövern an. Als ich mich – ein wenig zu schnell – umdrehte, um ihn abzuwehren, stolperte ich über ein Stück Holz und schlug der Länge nach hin. Ich hatte schon von vielen Leuten gehört, dass sie bei einem Unfall oder einer bedrohten Lage das Gefühl gehabt hatten, die Zeit verlangsame sich und alles geschehe wie in Zeitlupe. Das Stolpern und der Sturz war meine erste Erfahrung dieser Art. Zwischen dem Stolpern und dem Aufprall befand ich mich in einem Tunnel gedehnter Zeit und verengter Perspektiven. Ich sah, wie der schwarze Hund in seinem bereits angetretenen Rückzug zögerte und sich wieder zu uns umdrehte. Ich sah, wie seine Vorderläufe bei seiner schwungvollen Kehrtwende unter ihm wegrutschten und dann auf dem staubigen Weg nachfassten für den Sprung zum Angriff. In den Augen des Tiers lag eine fast menschliche Grausamkeit, als fühlte es meine Schwäche und das Nahen des tödlichen Angriffs. Ich sah, wie die anderen Hunde fast gleichzeitig innehielten und dann mit winzigen Schritten vorrückten. Ich fand sogar Zeit, zu denken, dass dieses Heranschleichen seltsam und überflüssig war, da sie mich ohnehin in Kürze erwischen würden. Ich spürte in aller Deutlichkeit, wie mir die kantigen Steine die Haut vom Ellbogen schürften, als ich am Boden aufschlug, und sann lächerlicherweise noch über das Infektionsrisiko nach, während ich doch einer weit schlimmeren Gefahr ausgesetzt war: den Hunden. Die überall waren.
    Und voller Verzweiflung, ganz krank vor Angst, dachte ich an Tariq, das arme Kind, das man seinem eigenen Willen zum Trotz in meine Obhut gegeben hatte. Ich spürte, wie er von meinen Schultern rutschte, spürte seine zerbrechlichen Arme zwischen meinen fuchtelnden Händen, als ich in den auseinandergleitenden Holzstapel krachte. Ich sah ihn fallen, sah, wie er mit katzenhafter Geschmeidigkeit vorwärtskroch, um sich aufzurichten, und sah ihn dann stehen, die Füße rechts und links von meinen ausgestreckten Beinen fest auf den Boden gestemmt. Sein Körper war starr vor Wut und seiner ungeheuren

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