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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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für einen Neuling überwältigend und Ekel erregend, das wusste ich. Ich hatte mich inzwischen daran gewöhnt und begann ihn, wie alle Slumbewohner, sogar irgendwie zu mögen. Der Gestank bedeutete, dass wir zu Hause waren, wohl aufgehoben. Und dass wir durch unser gemeinsames Elend vor den Gefahren geschützt waren, die den Armen auf den saubereren, nobleren Straßen der Stadt drohten. Trotz allem konnte ich mich aber noch sehr gut an die Übelkeitsanfälle erinnern, die mich ganz zu Anfang gepackt hatten. Und ich erinnerte mich an meine Angst vor dieser fauligen Luft, die so widerlich roch, dass sie mit jedem Atemzug meine Lunge zu vergiften und den Schweiß auf meiner Haut zu verseuchen schien.
    Diese Gefühle waren mir noch deutlich in Erinnerung, und deshalb wusste ich, dass Tariq jetzt litt, dass ihm übel und bange war. Aber ich brachte kein tröstendes Wort über die Lippen und widerstand dem Impuls, seine Hand zu nehmen. Ich wollte das Kind einfach nicht bei mir haben und war wütend auf mich selbst, weil ich zu schwach gewesen war, um mich Khaderbhai gegenüber durchzusetzen. In meinem tiefsten Inneren wollte ich sogar, dass dem Jungen schlecht wurde. Ich wollte, dass er es mit der Angst zu tun bekam. Ich wünschte, es möge ihm so übel und bange und unglücklich zumute sein, dass er seinen Onkel anflehte, ihn von mir wegzuholen.
    Die knisternde Spannung dieses grausamen Schweigens wurde von einem plötzlichen heftigen Bellen zerrissen. Das Gekläff eines Hundes zog das wilde Gebell anderer und schließlich einer ganzen Meute nach sich. Ich blieb so abrupt stehen, dass Tariq mit mir zusammenprallte. Die Hunde befanden sich auf dem offenen Gelände, ganz in der Nähe. Ich spähte in die Dunkelheit, konnte sie aber nicht sehen. Es musste ein großes Rudel sein, das sich weit zerstreut hatte. Ich blickte zu den Hütten hinüber und versuchte die Entfernung abzuschätzen. Unterdessen steigerte sich das wütende Gebell und Geheul zu einem bedrohlichen Crescendo, und die Hunde näherten sich aus der Finsternis.
    Die Meute, die sich in einem weiten Halbkreis näherte und uns den Weg nach Hause abschnitt, bestand aus etwa vierzig wütend bellenden Tieren, und sie waren extrem gefährlich für uns. Diese Hunde, die tagsüber geduckt und unterwürfig waren, rotteten sich nachts zu wilden Raubtierrudeln zusammen. Die Aggressivität und Bösartigkeit, die sie dann entwickelten, waren in den Slums der Stadt legendär und verursachten große Angst. Und diese Biester griffen häufig Menschen an. In meiner kleinen Praxis in der Hütte behandelte ich fast täglich Hundeund Rattenbisse. Erst kürzlich war ein Betrunkener am Rand des Slums von einer Hundemeute so übel zugerichtet worden, dass er immer noch im Krankenhaus lag. Und an genau derselben Stelle war einen Monat zuvor ein kleines Kind getötet worden. Die Hunde hatten den kleinen Körper in Stücke gerissen, die sie in weitem Umkreis verstreuten, sodass man einen ganzen Tag gebraucht hatte, um die übrig gebliebenen Leichenteile zusammenzutragen.
    Wir saßen in der Falle, dort auf dem dunklen Pfad. Die Hunde kamen bis auf wenige Meter heran und umringten uns, aufgebracht bellend. Es war ein ohrenbetäubendes, furchterregendes Getöse. Die Mutigsten wagten sich immer näher heran, Zentimeter um Zentimeter. Ich wusste, dass es nur eine Frage von Sekunden war, bis sie uns anfallen würden. Der Slum war zu weit entfernt, als dass wir ihn unversehrt hätten erreichen können. Allein hätte ich es möglicherweise sogar geschafft, wenn auch mit ein paar Bisswunden. Aber Tariq würden die Hunde schon auf den ersten hundert Metern den Garaus machen. Ich hatte nicht weit von uns einen Stapel mit Holz und anderem Baumaterial bemerkt, der uns Waffen und noch dazu Licht für den Kampf bot, und sagte Tariq, er solle sich bereit machen und auf mein Kommando losrennen. Als ich sicher war, dass er mich verstanden hatte, warf ich die Plastiktüte mit den geliehenen Kleidern mitten in die Meute. Die Hunde stürzten sich sofort darauf, rissen daran und bissen sich in der Tüte fest. In ihrer Raserei knurrten sie sich gegenseitig an und schnappten nach einander.
    »Jetzt, Tariq! Jetzt!«, schrie ich, stieß den Jungen nach vorne und versuchte ihn gleichzeitig zu decken. Die Hunde waren so mit dem Bündel beschäftigt, dass wir einen Moment lang außer Gefahr waren. Ich rannte zu dem Haufen aus Holzresten und griff nach einem dicken Bambusstock. Einen Atemzug später war das Rudel des

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