Shantaram
Fingerringe, die mit Gravuren in Paschto und taubeneigroßen Amethysten verziert waren.
Durch dieses Handelstreiben bahnten sich jene einen Weg, die mit der Versorgung der Läden und Straßenhändler ihr Brot verdienten – Räucherstäbchenschwenker, über deren Silbertabletts seidige Weihrauchschwaden hingen, Ofenputzer, Matratzenaufschüttler, Ohrenreiniger, Fußmasseure, Rattenfänger, Essens- und Chaiträger, Floristen, Wäscher, Wasserträger, Gasflaschenmänner und viele andere. Und zwischen all diesen Leuten, den Händlern und den Touristen, waren die Tänzer, Sänger, Akrobaten, Musiker, Weissager, Tempeldiener, Feuerschlucker, Affendresseure, Schlangenbeschwörer, Bärenführer, Fakire und viele andere unterwegs, die von der Betriebsamkeit der Straße lebten und abends wieder in die Slums zurückkehrten.
Jeder von ihnen verstieß früher oder später auf irgendeine Weise gegen das Gesetz, um schnelles Geld zu verdienen. Aber die gewieftesten, die scharfäugigsten unter all diesen Straßenmenschen waren diejenigen von uns, die professionell gegen das Gesetz verstießen: die Schwarzmarkthändler. Dass ich in diesem komplizierten Netzwerk der Schwindler und Kleinkriminellen akzeptiert wurde, hatte verschiedene Gründe. Erstens machte ich nur Geschäfte mit der Sorte Touristen, die zu vorsichtig oder zu paranoid waren, um sich direkt an Inder zu wenden; wenn ich mich ihrer nicht annahm, tat es ohnehin kein anderer. Zweitens führte ich diese Touristen ausschließlich zu einschlägigen indischen Geschäftsmännern und machte das Geschäft nie allein. Und drittens war ich nicht habgierig, meine Provisionen entsprachen immer dem Standard, den die ehrenwerten Gauner der Stadt festgelegt hatten. Außerdem achtete ich darauf, einen Teil meiner Einnahmen in den örtlichen Restaurants und Hotels auszugeben und auch die Schalen der Bettler nicht zu übersehen.
In der Toleranz, die mir entgegengebracht wurde, schwang aber noch etwas anderes mit, etwas weniger Greifbares, das vielleicht viel wichtiger war als die Tatsache, dass ich Provisionshöhen und Reviergrenzen achtete. Die Tatsache, dass ein weißer Ausländer – ein Mann, den die Meisten für einen Europäer hielten – sich so geschickt und behaglich im Schmutz und Dreck eingerichtet hatte, am unteren Ende ihrer Welt, hatte für die Inder auf der Straße etwas zutiefst Befriedigendes. Mit einer eigenartigen Mischung aus Scham und Stolz betrachteten sie meine Anwesenheit als Rechtfertigung für ihre eigenen Vergehen. Was sie tagtäglich mit den Touristen trieben, konnte so schlimm nicht sein, wenn ein Gora das auch tat, sagten sie sich. Mein Scheitern adelte sie; schließlich konnten sie keine schlechteren Menschen sein als Linbaba, der gebildete Ausländer, der mit kriminellen Machenschaften auf der Straße seinen Lebensunterhalt verdiente wie sie selbst.
Ich war jedoch bei weitem nicht der einzige Ausländer, der von Schwarzmarktgeschäften lebte. In Bombay tummelten sich europäische und amerikanische Drogenhändler, Zuhälter, Fälscher, Betrüger, Edelsteinhändler und Schmuggler. Unter ihnen waren auch zwei Männer, die beide George hießen. Der eine war Kanadier, der andere Engländer. Sie waren unzertrennlich und lebten seit Jahren auf der Straße. Niemand schien ihre Nachnamen zu kennen, und damit man sie unterscheiden konnte, hatte man sie zusätzlich mit ihren Sternzeichen benannt: Skorpion-George und Zwilling-George. Die Sternzeichen-Georges waren Junkies, die zuletzt sogar ihre Pässe verhökert hatten und sich seither der Herointouristen annahmen – Touristen, die nach Indien reisten für einen ein- oder zweiwöchigen Dauerrausch, um dann wieder in den sicheren Hafen ihrer Heimatländer zurückzukehren. Es gab erstaunlich viele Drogentouristen, und die Sternzeichen-Georges lebten von ihnen.
Die Bullen hatten ein besonderes Auge auf die beiden Georges und mich und all die anderen Ausländer, die auf der Straße Geschäfte machten. Sie waren zu jeder Zeit immer genau im Bilde darüber, was wir trieben. Und waren – völlig zu Recht übrigens – zu dem Schluss gekommen, dass wir nicht gewalttätig und außerdem gut für den Schwarzmarkt waren, von dem sie nicht nur in puncto Bestechungsgelder profitierten. Von den Drogen- und Devisenhändlern verlangten sie Provision, aber uns ließen sie in Ruhe. Jedenfalls ließen sie mich in Ruhe.
An jenem ersten Tag nach der Cholera-Epidemie verdiente ich innerhalb von drei Stunden rund zweihundert Dollar.
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