Shantaram
gesetzt. Die Aufseher hoben ihre Stöcke. In dieser dritten Gruppe hockten auch Mahesh und einer der Männer, die zusammengeschlagen und zu weiteren sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden waren, weil sie mir hatten helfen wollen. Sie schauten mich an. Sie sagten nichts, doch ihre Blicke waren flehentlich.
Ich ließ die Hände sinken und trat einen Schritt aus der Ecke hervor. Die Aufseher stürzten auf mich zu, und sechs Paar Hände packten mich. Sie stießen und zerrten mich zu einem der stählernen Gittertore und zwangen mich zu Boden, sodass ich mit dem Kopf an den Stäben lag. Aus einem Schrank auf ihrer Saalseite holten sie Handschellen, und mit zwei Paar von diesen altmodischen Eisenteilen ketteten sie meine gespreizten Arme in Höhe meines Kopfs an die Gitterstäbe. Meine Füße fesselten sie mit einem Kokosseil.
Big Rahul kniete sich neben mich und hielt sein Gesicht dicht vor meines. Er schwitzte und schnaufte vor Hass und Anstrengung. Seine Lippe war aufgeplatzt, seine Nase angeschwollen. Ich wusste, dass er von den Fausthieben auf Ohr und Schläfen tagelang Kopfschmerzen haben würde. Er lächelte. Wie viel Böses tatsächlich in einem Menschen steckt, erkennt man erst, wenn man ihn lächeln sieht. Ich musste plötzlich an eine Bemerkung denken, die Lettie einmal über Maurizio gemacht hatte. Wenn Babys Flügel hätten, hatte sie gesagt, würde er sie ihnen ausreißen. Ich musste lachen. Hilflos, die ausgestreckten Arme angekettet, fing ich an zu lachen. Big Rahul starrte mich stirnrunzelnd an, und sein idiotischer Gesichtsausdruck stachelte mich zu noch wilderem Gelächter an.
Dann begannen die Schläge. Big Rahul verausgabte sich in einer wütenden Attacke, die sich auf mein Gesicht und meine Genitalien konzentrierte. Als er den Stock nicht mehr halten konnte und um Luft rang, sprangen die anderen Aufseher ein und setzten sein Werk fort. Zwanzig Minuten oder mehr droschen sie mit ihren Lathis auf mich ein. Dann machten sie eine Zigarettenpause. Ich trug nur Shorts und ein Unterhemd. Die Rohrstöcke hatten sich förmlich in mich hineingefressen, hatten mir fast die Haut abgezogen, sie von den Fußsohlen bis zum Scheitel zerschnitten und zerfetzt.
Als die Aufseher zu Ende geraucht hatten, prügelten sie einfach weiter. Nach einer Weile hörte ich aus den Gesprächsfetzen, dass eine Gruppe von Aufsehern aus einem anderen Schlafsaal gekommen war. Die neuen Männer, deren Arme noch frisch und kräftig waren, machten weiter und prügelten auf mich ein. Sie waren erbarmungslos in ihrer Raserei. Und als auch sie nachließen, wurde eine dritte Gruppe auf mich losgelassen, die mich mit roher Gewalt traktierte. Dann eine vierte und wieder die erste, die Gruppe aus meinem eigenen Schlafsaal. Alle ließen die Stöcke mit mörderischer Brutalität auf mich niedersausen. Um halb elf am Vormittag hatten sie angefangen. Sie prügelten mich bis abends um acht.
»Machen Sie den Mund auf.«
»Was?«
»Machen Sie den Mund auf!«, befahl die Stimme. Ich konnte die Augen nicht öffnen, weil meine blutverkrusteten Lider zusammenklebten. Die Stimme war hartnäckig, aber sanft und kam von irgendwo hinter mir, von irgendwoher hinter den Gitterstäben. »Sie müssen Ihre Medizin nehmen, Sir! Sie müssen Ihre Medizin nehmen!«
Ich spürte, wie der Hals einer Flasche gegen meine Zähne und Lippen gedrückt wurde. Wasser rann mir übers Gesicht. Meine Arme waren immer noch ausgestreckt an das Gitter gekettet. Meine Lippen öffneten sich, und Wasser floss mir in den Mund. Ich schluckte es hastig, spuckend und würgend. Hände hielten mir den Kopf, und ich spürte, wie mir zwei Tabletten in den Mund geschoben wurden. Dann war die Wasserflasche wieder da, und ich trank, wobei ich einen Teil des Wassers durch die Nase wieder aushustete.
»Ihre Mandrax-Tabletten, Sir«, sagte der Wärter. »Jetzt werden Sie schlafen.«
Mit ausgestreckten Armen und noch immer auf dem Rücken liegend, dämmerte ich weg. Mein ganzer Körper war so vollständig von Wunden und Blutergüssen übersät, dass es keine Stelle gab, die nicht schmerzte. Es war unmöglich, die Verletzungen zu ermessen oder einzuschätzen, denn alles war Schmerz, überall. Meine Augen waren fest verschlossen. Ich schmeckte Blut und Wasser. Auf einem klebrigen betäubenden See trieb ich in den Schlaf. Der vielstimmige Chor, den ich in meinem Inneren hörte, waren meine eigenen Schmerzensschreie, die ich unterdrückt hatte, die ich ihnen nicht gegönnt hatte und auch nicht
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