Shantaram
Das ist kein Privattreffen, und es ist eine schöne Fahrt nach Juhu.«
Er lächelte langsam und zog seine Hand unter meiner weg. Den Blick weiter auf mich gerichtet, hob er die Hand und streckte einen Finger hoch. Ein Kellner kam an unseren Tisch. Ohne ihn anzuschauen, bestellte Didier einen weiteren Whisky. Als ich zahlte und hinausging, hustete er schon wieder. Er krümmte sich über die vorgehaltene Hand, während die andere sein Glas umklammerte.
Ich hatte mir einen Monat zuvor ein Motorrad gekauft, eine Enfield Bullet. Die Erinnerung an den Adrenalinrausch des Motorradfahrens, den ich in Goa erlebt hatte, war mir nicht mehr aus dem Sinn gegangen, und schließlich hatte ich der Verlockung nachgegeben und war mit Abdullah zu dem Mechaniker gefahren, der sein Motorrad wartete. Dieser Mechaniker, ein Tamile namens Hussein, liebte Motorräder, und Abdullah liebte er fast ebenso sehr. Die Enfield, die er mir verkaufte, war in perfektem Zustand, und sie hat mich auch tatsächlich nie im Stich gelassen. Vikram war von der Maschine so beeindruckt, dass es keine Woche dauerte, bis er sich bei Hussein auch eine Enfield kaufte. Manchmal fuhren wir zusammen, Abdullah, Vikram und ich, unsere drei Maschinen nebeneinander und die Sonne auf unseren lachenden Gesichtern.
An dem Nachmittag, als ich Didier im Leopold’s zurückließ, fuhr ich gemächlich, um mir Zeit zum Nachdenken zu geben. Karla hatte ihr Häuschen am Strand von Anjuna verlassen. Ich hatte keine Ahnung, wo sie sein könnte. Ulla hatte mir gesagt, dass Karla ihr nicht mehr schrieb, und ich hatte keinen Grund, das anzuzweifeln. Karla war verschwunden, und es gab keine Möglichkeit, sie aufzuspüren. Jeden Morgen erwachte ich aus einem Traum von ihr oder mit dem Gedanken an sie. Und jede Nacht schlief ich mit dem Messer der Reue in der Brust ein.
Meine Gedanken drifteten weiter zu Khaderbhai. Er schien sehr zufrieden mit der besonderen Rolle, die ich in seinem Mafia-Netzwerk spielte: Ich überwachte die Einfuhr von geschmuggeltem Gold auf den nationalen und internationalen Flughäfen, tauschte in Fünf-Sterne-Hotels oder Niederlassungen von Fluggesellschaften mit Agenten größere Barbeträge aus und organisierte den Ankauf ausländischer Pässe. All diese Dinge konnte ein Gora besser und unauffälliger tun als ein Inder. Meine Auffälligkeit war ironischerweise zugleich meine Tarnung. Ausländer wurden von Indern nämlich unverhohlen angestarrt. Irgendwann im Laufe der fünf oder mehr Jahrtausende seit den Anfängen dieser Kultur hatte man sich vom beiläufigen, flüchtigen Blick verabschiedet. Als ich nach Bombay kam, reichte die Bandbreite der Betrachtung vom neugierigen Beäugen bis zum penetranten Glotzen. Doch es lag nichts Bösartiges in diesen Blicken. Die Augen, die mich erspähten und verfolgten, wohin ich auch kam, waren unschuldig, neugierig und fast immer freundlich. Und die intensive Musterung hatte ihre Vorteile: Zumeist begafften die Leute mich, nicht jedoch das, was ich tat. Ausländer wurden auf eine Weise angestarrt, die sie gleichsam unsichtbar machte. So konnte ich mich problemlos in Reisebüros und Grandhotels, in Niederlassungen von Fluggesellschaften und anderen Firmen bewegen, denn die Leute, die mich auf Schritt und Tritt beobachteten, nahmen nur mich wahr, nicht die Straftaten, die ich im Dienste des großen Khan beging.
Ich fuhr an der Haji-Ali-Moschee vorbei, beschleunigte im Nachmittagsverkehr auf der mehrspurigen Uferstraße und fragte mich, warum Abdel Khader Khan nie von dem Mord an seinem Freund und Kollegen Madjid sprach. Mich ließ dieser Mord nicht los, und ich hätte Khader gern danach gefragt, doch als ich Madjid einmal erwähnt hatte, kurz nach seiner Ermordung, hatte Khaderbhai so tief bekümmert ausgesehen, dass ich schnell das Thema wechselte. Und so waren Tage zu Wochen, Wochen zu stummen Monaten geworden, und es war mir irgendwie nicht gelungen, dieses Thema noch einmal anzusprechen. Es war fast so, als ob ich derjenige war, der Geheimnisse hatte. So sehr der Mord auch mein Denken beherrschte, ich erzählte Khader nichts davon. Stattdessen besprachen wir Geschäftliches oder unterhielten uns über Philosophie. Und in einer unserer langen Diskussionen hatte er mir schließlich auch meine große Frage beantwortet. Ich erinnerte mich noch an die Begeisterung, die ich in seinen Augen wahrgenommen hatte – vielleicht schimmerte auch ein gewisser Stolz darin –, als ich ihm bewies, dass ich seine Lehren verstanden
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