Shantaram
Nachtclub darstellen sollte. Ich begrüßte die jungen Leute und tauschte ein paar Nettigkeiten mit ihnen aus, dann nahm Lisa mich beiseite.
»Wie sind sie?«, fragte ich, als wir außer Hörweite waren.
»Super«, sagte sie fröhlich. »Total geduldig und locker drauf. Ich glaube, sie haben ihren Spaß bei der Sache. Es wird ein richtig guter Dreh. Du hast in den letzten Wochen ein paar echt gute Leute geschickt, Lin. Die Studios sind sehr zufrieden. Wir könnten … wir könnten da richtig was draus machen, wir beide.«
»Du machst das gerne, was?«
»Na klar!«, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln, das ich bis in die Zehenspitzen spürte, wurde aber gleich wieder ernst. Sie sah mich entschlossen an – mit jener Entschlossenheit von Menschen, die alles auf die harte Tour, ohne Hoffnung, durchziehen müssen. Sie war wunderschön: eine kalifornische Strandschönheit im Sündenbabel Bombay; ein Cheerleader-Mädchen, das sich aus der tödlichen Umarmung des Heroins und aus Madame Zhous Klauen befreit hatte. Ihre Haut war rein und sonnengebräunt. Ihre himmelblauen Augen strahlten Willensstärke aus. Sie hatte sich die langen blonden Locken aus dem Gesicht gekämmt und zu einer eleganten Frisur aufgesteckt, die zu ihrem klassisch geschnittenen elfenbeinfarbenen Hosenanzug passten. Sie hat über das Heroin gesiegt, schoss es mir durch den Kopf, als unsere Blicke sich trafen. Sie hat über das Zeug gesiegt. Sie ist davon losgekommen. Mir wurde plötzlich bewusst, wie tapfer sie war und dass ihr Mut – wenn man ihn erst einmal entdeckte – so greifbar und fesselnd war wie die grimmige, unpersönliche Drohung im Blick eines Tigers.
»Mir macht das Spaß«, sagte sie. »Ich mag die Arbeit und die Leute. Mir gefällt dieses ganze Leben. Du würdest es garantiert auch mögen.«
»Ich mag dich«, konterte ich lächelnd.
Sie lachte, hakte sich bei mir unter und schlenderte mit mir über das Set.
»Der Film heißt Paanch Paapi«, erzählte sie mir.
»Fünf Küsse …«
»Nein, paapi, nicht papi. Fünf Diebe, nicht fünf Küsse. Aber natürlich ist das Wortspiel beabsichtigt, und die fünf Küsse kommen auch darin vor, denn das Ganze ist ja eine Liebeskomödie. Die weibliche Hauptrolle hat Kimi Katkar. Ich finde sie umwerfend. Sie ist nicht gerade die beste Tänzerin auf Erden, aber sie ist wunderschön. Und der männliche Hauptdarsteller ist Chunkey Pandey. Er könnte richtig gut sein, wenn er sich nicht selbst so wahnsinnig toll fände.«
»Wo wir gerade beim Thema sind – habt ihr noch mal Ärger mit Maurizio gehabt?«
»Von dem haben wir überhaupt nichts mehr gehört, aber ich mache mir ein bisschen Sorgen um Ulla. Sie ist jetzt schon einen Tag und eine Nacht verschwunden. Vorgestern Abend hat sie einen Anruf von Modena bekommen und ist dann total hektisch aufgebrochen. Er hat sich seit Wochen zum ersten Mal gemeldet. Seither habe ich nichts mehr von ihr gehört, obwohl sie versprochen hat anzurufen.«
Ich strich mir die Falten von der Stirn und fuhr mir durch die zerzausten Haare.
»Ulla weiß schon, was sie tut«, brummte ich. »Sie ist weder dein noch mein Problem. Ich habe ihr geholfen, weil sie mich darum gebeten hat. Aber diese Ulla-Modena-Maurizio-Nummer geht mir langsam echt auf die Nerven. Hat Modena irgendwas von dem Geld gesagt?«
»Keine Ahnung. Vielleicht.«
»Tja, es ist jedenfalls immer noch verschwunden, und Modena auch. Das weiß ich von den Jungs auf der Straße. Maurizio sucht ihn überall, und er wird keine Ruhe geben, bis er ihn gefunden hat. Und Ulla sollte auch besser auf der Hut sein. Sechzigtausend – so viel ist das zwar nicht, aber es sind schon Leute für weniger Geld umgebracht worden. Wenn Modena das Geld hat, sollte er sich lieber von Ulla fernhalten, solange Maurizio noch hinter ihm her ist.«
»Ich weiß. Ich weiß.«
Ihr Blick war glasig und ängstlich geworden.
»Ich mache mir nicht um Ulla Sorgen«, sagte ich etwas sanfter, »sondern um dich. Falls Modena wieder auftaucht, solltest du dich eine Zeitlang möglichst in Abdullahs Nähe aufhalten. Oder in meiner.«
Sie presste die Lippen zusammen, damit ihr nichts herausrutschte, was sie später bereuen würde, und sah mich an.
»Erzähl mir was über den Film«, schlug ich vor, um unser Gespräch in freundlichere Gefilde zu lenken, weg von dem kalten schwarzen Strudel, zu dem sich Ullas Leben allmählich entwickelte. »Was passiert in dieser Szene?«
»Das hier ist ein Nachtclub, zumindest die Filmversion eines
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