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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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dem ganzen Trubel, weißt du?«
    »Na, das wird ja eine Woche! Mein Freund Vikram heiratet in dieser Woche nämlich auch.«
    »Kommst du zu unseren Hochzeiten, Lin?«, fragte er mit etwas angespannter Miene. Johnny war ein Mensch, der anderen Leuten selbstlos und großzügig Gefälligkeiten erwies. Doch wie vielen dieser Menschen fiel es ihm unendlich viel schwerer, selbst Wünsche zu äußern oder um einen Gefallen zu bitten.
    »Na, die würde ich mir doch um keinen Preis entgehen lassen!«, antwortete ich lachend. »Ich kann es kaum erwarten!«
    Als ich ging, unterhielt sich Johnny gerade mit Satish. Der Junge hörte ihm aufmerksam zu, aber sein Blick war so ausdruckslos wie ein Grabstein. Ich musste daran denken, wie er sich an dem Tag, als Karla mich zum ersten Mal im Slum besuchte, an mein Bein geklammert und Karla dieses schüchterne, aufrichtige Lächeln zugeworfen hatte. Die Erinnerung bohrte sich in mein lebloses Herz. Es führt kein Weg nach Hause zurück, heißt es immer, und das stimmt natürlich. Doch das Gegenteil gilt genauso: Manchmal muss man unweigerlich zurückgehen, und man geht immer wieder zurück, man kann nicht anders, so sehr man sich auch bemüht.
    Da ich etwas Ablenkung brauchte, fuhr ich zum R. K. Filmstudio, sauste mit Vollgas durch den dichten Verkehr und riskierte tollkühne Überholmanöver. Am Tag zuvor hatte ich acht Ausländer angeworben und zu Lisa geschickt. Es war einfach, Ausländer für Statistenrollen in Bollywoodfilmen zu finden. Dieselben Deutschen, Schweizer, Schweden oder Amerikaner, die einem indischen Casting-Agenten misstrauisch oder sogar feindselig begegnet wären, reagierten begeistert, wenn ich sie ansprach. Als ich damals ein Jahr lang im Slum gelebt und mein Geld mit Provisionsgeschäften und als Reiseführer verdient hatte, waren mir ausländische Touristen jeder Couleur über den Weg gelaufen. Nach einer gewissen Zeit hatte ich dann auch den Dreh heraus, wie ich schnell und problemlos ihr Vertrauen gewinnen konnte: Ich präsentierte mich zu vierzig Prozent als Showman, zu weiteren vierzig als Schmeichler und zu zwanzig Prozent als Schwerenöter, das Ganze gewürzt mit einer Prise Verschmitztheit, einem Hauch Hochmut und einem Funken Verachtung.
    Durch meine Führungen hatte ich mir in den wichtigsten Restaurants von Colaba Freunde gemacht. Ich hatte meine Gruppen regelmäßig ins Café Mondegar und ins Picadilly geführt, in Dipty’s Juice Bar und ins Edward the Eighth, ins Meban Restaurant, das Apsara Café und das Strand Coffee House, ins Ideal und in andere Kneipen in der Touristengegend und hatte sie ermuntert, dort Geld auszugeben. Wenn ich jetzt Ausländer für kleine Filmrollen suchte, klapperte ich einfach diese Cafés und Restaurants ab. Die Besitzer, Geschäftsführer und Kellner begrüßten mich immer herzlich. Sobald ich eine geeignet erscheinende Gruppe junger Männer und Frauen entdeckte, sprach ich sie an und fragte, ob sie Lust hätten, in einem indischen Film mitzuspielen. Da sich die Kneipenangestellten für mich verbürgten, hatte ich das Vertrauen der Touristen schnell gewonnen, und für gewöhnlich lehnten sie auch nie ab. Dann rief ich Lisa Carter an, die für den nächsten Tag den Transport zum Filmstudio und zurück organisierte.
    Das System funktionierte hervorragend, und es dauerte nicht lange, bis die großen Studios und die wichtigen Produzenten bei Lisa und mir anfragten, wenn sie Rollen zu vergeben hatten. Die Gruppe, die ich am Vortag angeworben hatte, war unser erster Auftrag vom renommierten R. K. Studio.
    Ich war gespannt auf den großen, berühmten Studiokomplex, und als ich durch das Eingangstor auf die grauen Segeln gleichenden Wellblechdächer zufuhr, hob sich meine Stimmung. Menschen wie Lisa Carter erfüllte die Traumwelt des Films mit geradezu andächtiger Ehrfurcht. Das war bei mir nicht so, doch ich war auch nicht immun gegen den Zauber dieser Welt. Jedes Mal, wenn ich das Fantasieland eines Filmstudios betrat, fand dieser glamouröse und überwältigende Zauber, der eine Filmproduktion umweht, den direkten Weg zu meinem Herzen und zog mich aus dem dunklen schweren Meer, dem mein Leben inzwischen allzu oft glich.
    Die Wachleute schickten mich zu einem Tonstudio, in dem Lisa und ihre Deutschen warteten. Ich war in einer Drehpause gekommen, und Lisa servierte den jungen Ausländern gerade Tee und Kaffee. Sie saßen an zwei Tischen von mehreren, die um eine Bühne gruppiert waren, in einem Szenenaufbau, der einen modernen

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