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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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zu haben. Ruhig nahm er die Strafe hin, die er verdient hätte, wie er zu mir sagte, als sei sie ein Privileg oder ein Sonderrecht. Und dann, nachdem ich zu viele Tage und Nächte gegrübelt hatte, verfuchte ich Anand. Ich verfluchte ihn, um ihn aus meinem Kopf zu vertreiben, denn eine Stimme sagte mir – meine eigene oder vielleicht auch die meines Vaters –, dass ich einen solchen inneren Frieden niemals finden würde. Ich würde das Eden der Seele niemals kennen lernen, jenen Ort, an dem Aussöhnung mit der Strafe und Verständnis von Recht und Unrecht die Kümmernisse beiseiterollen, die wie Findlinge auf dem kargen Feld eines vereinsamten Herzens liegen.
    Nachts zogen wir weiter gen Norden und überquerten den schmalen Kussa-Pass im Hada-Gebirge. Die Luftlinie von etwa dreißig Kilometern war für uns ein Aufstieg und Abstieg von fast hundertfünfzig Kilometern. Dann zogen wir fünfzig Kilometer unter offenem Himmel über flacheres Land und überquerten den Arghastan-Fluss und seine Nebenflüsse dreimal, bevor wir das Vorgebirge des Shahbad-Passes erreichten. Und dort, während ich mich noch mit Fragen von Recht und Unrecht herumschlug, wurde zum ersten Mal auf uns geschossen.
    Khaders Befehl, den Aufstieg zum Shahbad-Pass ohne Rast zu beginnen, rettete an diesem kalten Abend vielen unserer Männer und auch mir das Leben. Nach dem langen Marsch über die Ebene waren wir erschöpft, und wir alle hofften, am Fuße des Gebirges rasten zu dürfen, aber Khader trieb uns weiter. Er ritt immer wieder die Kolonne ab und schrie, wir sollten durchhalten, durchhalten, nicht langsamer werden. Deshalb bewegten wir uns zügig, als die ersten Schüsse fielen. Ich hörte das Geräusch – ein hohles metallisches Klopfen, als schlage jemand mit einem Kupferrohr an einen leeren Benzinkanister. Zuerst brachte ich es nicht mit Schüssen in Verbindung und trottete weiter, mein Pferd am Zügel führend. Dann fanden die Kugeln ihr Ziel und trafen die Erde, unsere Männer, die Felswände. Die Männer stürzten los, um in Deckung zu gehen. Ich ließ mich fallen, presste das Gesicht in den Staub auf dem steinigen Weg und sagte mir, dass all das gar nicht wirklich geschah, dass ich nicht gesehen hatte, wie der Rücken des Mannes vor mir aufplatzte, als er vorwärts stolperte. Unsere Männer begannen wie wild um sich zu schießen. Ich atmete hastig Staub ein, starr vor Angst. Und war im Krieg.
    Wäre mein Pferd nicht gewesen – ich wäre wohl liegen geblieben, mit dem Gesicht am Boden, während mein Herz hämmerte, als wolle es die Erde zum Beben bringen. Ich hatte die Zügel verloren, und die Stute bäumte sich angstvoll auf. Um nicht von den Hufen getroffen zu werden, rappelte ich mich hoch und packte die Zügel. Das Pferd, das bislang so beeindruckend sanftmütig gewesen war, benahm sich nun schlimmer als alle anderen. Die Stute bäumte sich auf, schlug aus und drehte sich im Kreis, um nach mir zu treten. Sie biss mich sogar so stark in den Unterarm, dass mich trotz drei Lagen Kleidung ein heftiger Schmerz durchfuhr.
    Ich sah mich rasch um. Die Männer, die sich näher an den Bergen befanden, zerrten ihre Pferde hinter sich her und suchten zwischen den Felsen Schutz. Die anderen vor und hinter mir hatten ihre Pferde dazu gebracht, sich hinzulegen, und gingen neben oder hinter ihnen in Deckung. Nur mein Pferd bäumte sich auf und war weithin sichtbar. Es ist verflucht schwer für jemanden, der im Umgang mit Pferden unerfahren ist, ein Pferd in einer Kampfzone zum Hinlegen zu bewegen. Andere Pferde aus der Gruppe wieherten panisch, und jeder dieser Laute versetzte meine Stute noch mehr in Angst und Schrecken. Ich wollte sie retten, wollte, dass sie sich hinlegte, um weniger sichtbar zu sein, aber ich hatte auch Angst um mich selbst. Die Geschosse schlugen in die Felsen neben mir ein, und bei jedem Krachen zuckte ich zusammen wie ein Hirsch, der in einer Dornenhecke feststeckt.
    Es fühlt sich sonderbar an, wenn man abwartet, ob man von einem Geschoss getroffen wird; am ehesten ist es vergleichbar mit dem Gefühl, ins Leere zu stürzen und auf den Moment zu warten, in dem der Fallschirm aufgeht. Man hat einen eigenartigen Geschmack im Mund. Die Haut riecht anders. Und die Augen fühlen sich hart an, als wären sie aus kaltem Metall. Als ich beschloss aufzugeben und die Stute sich selbst zu überlassen, gab sie nach und legte sich auf die Seite, als ich sie nach unten zog. Ich nutzte ihren Bauch als Deckung und tätschelte ihren Hals, um

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