Shantaram
Meister –, kennst du das?«, fragte Khader und lachte. Er schien sich über mich zu amüsieren.
»Ja«, knurrte ich zwischen den Zähnen hervor.
»Nun, genau in dem Moment, als ich bei meinem Studium der Philosophie und Religion an einem Punkt angelangt war, an dem ich die Kenntnisse eines Naturwissenschaftlers brauchte, erschien einer in meinem Leben. Ich wusste, dass ich viele Antworten im Wissen über das Leben, die Sterne und die Chemie finden würde. Doch dies waren leider die Dinge, die mein lieber Mackenzie Esquire mich bestenfalls in einfachster Form gelehrt hatte. Ich lernte damals einen Physiker kennen, der am Bhabha Atomic Research Center in Bombay arbeitete. Er war ein guter Mann, doch damals hatte er eine Schwäche für das Glücksspiel und steckte in großen Schwierigkeiten. Er hatte viel Geld verloren, das ihm nicht einmal gehörte. Er spielte in einem Club, dessen Besitzer ich gut kannte – ein Mann, der bei Bedarf für mich arbeitete. Doch damit nicht genug: Der Physiker war in eine Frau verliebt, und für diese Liebe stellte er allerhand Dummheiten an und brachte sich in Gefahr. Als er zu mir kam, löste ich seine Probleme und behandelte sie absolut diskret. Niemand erfuhr Einzelheiten, weder über seine Lage noch über die Art, wie ich ihm geholfen hatte. Und zum Dank dafür gibt mir dieser Mann seit damals Unterricht. Er heißt Wolfgang Persis, und wenn du möchtest, kannst du ihn kennen lernen, wenn wir wieder zurück sind. Ich habe entsprechende Vorbereitungen getroffen.«
»Seit wann unterrichtet er dich?«
»Seit sieben Jahren einmal in der Woche.«
»Wow!«, staunte ich und dachte dabei etwas niederträchtig, dass der weise und mächtige Khader Khan überall seine Schäfchen ins Trockene brachte. Im nächsten Moment schämte ich mich dieses Gedankens: Ich liebte ihn so sehr, dass ich ihm in einen Krieg folgte. War es nicht möglich, dass dieser Wissenschaftler ihn ebenso liebte? Und bei diesem Gedanken spürte ich, dass ich eifersüchtig war auf diesen Mann, diesen Wissenschaftler, den ich nicht kannte und vermutlich auch nie kennen lernen würde. Eifersucht hat – wie die mit Makeln behaftete Liebe, die dieses Gefühl hervorbringt – keinerlei Achtung vor Zeit, Raum oder sinnvollen Argumenten. Eifersucht kann mit einer einzigen gehässigen Bemerkung Tote auferstehen lassen oder Hass auf einen wildfremden Menschen heraufbeschwören, nur weil sein Name Erwähnung findet.
»Du erkundigst dich nach dem Leben«, sagte Khader mit sanfter Stimme, eine andere Taktik anschlagend, »weil du über den Tod nachdenkst. Und du denkst darüber nach, weil du vielleicht einen Menschen erschießen musst, habe ich recht?«
»Ja«, murmelte ich. Er hatte recht, doch der Akt des Tötens, der mich beschäftigte, würde sich nicht in Afghanistan abspielen. Der Mensch, den ich töten wollte, saß auf einem Thron, im Geheimzimmer eines grotesken Bordells namens The Palace in Bombay. Madame Zhou.
»Vergiss nicht«, sagte Khader eindringlich und legte mir die Hand auf den Arm, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, »dass man manchmal aus den richtigen Gründen das Falsche tun muss. Das Wichtigste dabei ist, sich gewiss zu sein, dass die Gründe richtig sind, und das Falsche zugeben zu können – wir dürfen uns nicht selbst belügen und uns einreden, dass es richtig ist, wie wir handeln.«
Und später, nachdem die Hochzeitsfeier jubelnd, wirbelnd und ekstatisch ihren Höhepunkt erreicht hatte und wir wieder zu unseren Männern stießen und mühsam unseren Weg durch die Berge fortsetzten, war ich damit beschäftigt, die Dornenranke zu entwirren, die Khader mit seinen Worten um mein Herz geschlungen hatte. Das Falsche aus den richtigen Gründen … Mit diesen Worten hatte er mich schon einmal geplagt. Ich kaute in Gedanken darauf herum wie ein Bär auf einem Lederriemen, mit dem seine Beine gefesselt sind. In meinem bisherigen Leben war das Falsche immer aus den falschen Gründen getan worden. Sogar das Richtige war oft durch die falschen Gründe motiviert.
Ich verfiel in eine schwermütige grüblerische Stimmung, die ich nicht abschütteln konnte, und als wir weiter in den Winter hineinritten, dachte ich oft an Anand Rao, meinen Nachbarn aus dem Slum. Ich sah ihn vor mir, wie er mich durch das Gitter im Besucherraum des Arthur-Road-Gefängnisses ansah: sein sanftes schönes Gesicht, heiter und sanft durch den Frieden, der sein Herz erfüllte. Er glaubte, das Falsche aus den richtigen Gründen getan
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