Shantaram
Respekt auf. Und ich glaube, dass du das in deinem tiefsten Inneren genauso empfindest, Sanjay. Ich werde mich da nicht einmischen, das ist nicht meine Aufgabe. Chuha verdient seine Kohle, indem er Leute schikaniert. Ich verstehe das. Aber wenn er das bei mir versucht, schlitze ich ihn auf. Und ich sage dir, Mann, es wird mir Spaß machen.«
Ein Schweigen trat ein. Sanjay schürzte die Lippen, drehte eine Hand nach oben und blickte von Salman zu Farid. Dann brachen alle drei in Gelächter aus.
»Du hast ihn gefragt!«, gluckste Farid.
»Schon gut, schon gut«, räumte Sanjay ein. »Ich hab den Falschen gefragt. Lin ist ein echt wilder Typ, yaar, mit wilden Ansichten. Er ist mit Khader nach Afghanistan gegangen, Mann! Wieso frag ich einen Typen, der verrückt genug ist, so was zu tun? Du hast diese Klinik im Zhopadpatti betrieben, ohne auch nur eine Scheiß paise damit zu verdienen. Erinnere mich bitte daran, falls ich nochmal auf die Idee kommen sollte, dich in Geschäftssachen um Rat zu fragen, okay, Lin?«
»Und noch was«, erwiderte ich mit ungerührter Miene.
»Eh, Baghwan !«, rief Sanjay aus. »Er will noch was sagen!«
»Wenn du dir die Sprüche anschaust, wirst du noch besser verstehen, was ich meine.«
»Sprüche?«, fragte Sanjay mit gespielter Entrüstung, was seine Freunde zu noch heftigeren Lachsalven veranlasste. »Was denn für Scheißsprüche, yaar ?«
»Du weißt doch, was ich meine. Der Wahlspruch oder die Parole des Walidlalla-Klans ist Pahiley Shahad, Tab Julm. Ich denke, das ist mit Erst Honig, dann Schandtat annähernd richtig übersetzt. Oder? Und damit begrüßen sie sich doch, oder?«
»Ja, Mann, stimmt, das ist ihr Spruch.«
»Und was ist unser Wahlspruch? Khaders Parole?«
Die drei sahen sich an und lächelten.
»Saatch aur Himmat«, sagte ich. »Wahrheit und Mut. Ich kenne viele Typen, die auf Chuhas Parole stehen, weil sie die schlau und komisch finden. Und sie meinen, Chuha sei knallhart, weil er so herzlos ist. Aber ich kann ihn nicht ausstehen. Ich mag Khaders Parole.«
Ich hörte das Motorengeräusch einer Enfield, und als ich aufblickte, sah ich Abdullah, der vor dem Chai-Shop gehalten hatte und mir zuwinkte. Zeit zum Aufbruch.
Ich hatte meine Meinung geäußert, und für mich entsprach jedes Wort der Wahrheit, das ich gesagt hatte. Doch in meinem eigenen tiefsten Inneren war ich mir wohl bewusst, dass Sanjays Ansichten nicht besser waren, sich aber als stärker erweisen würden. Der Walidlalla-Klan unter Chuha war in gewisser Weise die Zukunft der Mafia, und wir alle wussten das. Walid leitete noch immer den Klan, der seinen Namen trug, doch er war alt und krank. Er hatte Chuha bereits so viel Macht eingeräumt, dass der jüngere Don der eigentliche Anführer war. Chuha war aggressiv und erfolgreich, und er gewann durch Gewalt oder Druck ständig neues Gebiet hinzu. Wenn Salman sich nicht auf einen Zusammenschluss der Klans einließ, würde es früher oder später zum offenen Konflikt und einem Krieg kommen.
Ich hoffte natürlich, dass der Khader-Klan unter Salman als Sieger daraus hervorgehen würde. Doch ich wusste, dass es auch dann unmöglich sein würde, sich Chuhas Gebiete anzueignen, ohne den Handel mit Heroin, Frauen und Pornos zu übernehmen. Das war die Zukunft, und sie war unumgänglich. In diesen Bereichen wurde zu viel Geld verdient. Und wenn Geld sich anhäuft, ist es wie eine große Partei in der Politik: Es erzeugt ebenso viel Schaden, wie es Gutes tut, es verschafft wenigen zuviel Macht, und je stärker man damit in Berührung kommt, desto schmutziger wird man selbst. Langfristig konnte Salman den Kampf mit Chuha meiden, oder er konnte Chuha besiegen und dessen Rolle übernehmen. Das Schicksal bietet dir immer zwei Wege, hatte Skorpion-George einmal gesagt: Den einen, für den du dich entscheiden solltest , und den anderen, für den du dich dann entscheidest .
» Aber, hey«, sagte ich und stand auf, »mit mir hat das alles nichts zu tun. Und ehrlich gesagt, ist es mir auch egal, wie das alles ausgeht. Ich werd abgeholt. Bis später, Leute.«
Ich ging raus, begleitet von Sanjays Rufen und vom Gelächter der anderen.
»Bahinchudh! Gandu!«, schrie Sanjay. »Du kannst doch hier nicht meine Pläne vermasseln und dann einfach abhauen! Komm sofort zurück!«
Als ich näher kam, startete Abdullah die Maschine und kickte den Ständer weg.
»Du hast es eilig mit dem Training«, sagte ich zu ihm, als ich aufstieg, »aber du kannst dich ruhig entspannen.
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