Shantaram
aus, und ein paar jüngere Dorfbewohner hämmerten die Holzpflöcke dann für sie in den Boden.
Als alle neun Pflöcke standen, wurden kleine Fähnchen mit den Namen der Männer daran befestigt, und die Leute gingen nach Hause.
Ich hatte das Ganze von einem schattigen Fleckchen aus beobachtet, unter der Astkuppel eines Baumes sitzend. Ich war gerade mit meinem kleinen Marathi-Wörterbuch beschäftigt, in dem ich die Wörter, die ich jeden Tag im Dorf hörte, phonetisch niederschrieb. Ich beachtete die Zeremonie kaum und machte mir auch nicht die Mühe, später nach ihrem Sinn zu fragen.
Während wir nun in dem ohrenbetäubenden Regenprasseln standen und zusahen, wie der Fluss stetig näher kroch, erklärte mir Prabaker, dass die Holzpflöcke Teil eines Überschwemmungsspiels waren, das jedes Jahr gespielt wurde. Die ältesten Männer des Dorfes und sechs Lotteriegewinner durften einen Tipp abgeben, bis wohin der Fluss steigen würde. Mit ihrem Holzpflock, auf dem ein gelbseidenes Fähnchen prangte, markierten sie die entsprechende Stelle.
»Siehst du es, dies kleine Fahne?« Prabaker deutete auf den Pflock, der am weitesten von uns entfernt war. »Ist er schon fast weg verloren, diese Stock. Wird er kommen zu ihn, der Fluss, morgen oder schon heute nachts.«
Er übersetzte für die anderen, was er mir gesagt hatte, und die schoben Satish nach vorne, einen untersetzten Kuhhirten. Der Stock, der demnächst überspült werden würde, war seiner, und er ließ mit scheuem Lachen und niedergeschlagenen Augen den gutmütigen Spott seiner Freunde und das verächtliche Grinsen der Älteren über sich ergehen.
»Und dies hier«, sagte Prabaker und deutete auf den Stock, dem wir am nächsten standen, »wird kommen niemals nicht diese zum Wasser von der Fluss. Kommt er nie so weit als bis da hin. Hat der alte Deepakbhai genommen diese prima Platz zum Aufstellen von sein Stock. Glaubt er, kommt dies Jahr ein viel schlimmer Monsun.«
Die Dorfbewohner hatten mittlerweile das Interesse verloren und den Heimweg angetreten. Prabaker und ich blieben allein zurück.
»Aber … woher wisst ihr, dass der Fluss nicht weiter als bis hierhin ansteigen wird?«
»Sind wir schon lange hier, Lin. Ist es das Sunder schon zweitausenden Jahren lang hier an diese Platz. Ist Natinkerra, das nächstes Dorf, schon noch viel länger hier, ungefähr dreitausende Jahre. An viel andere Orte – nur nicht hier in die Nähe – haben sie viel schlimme Sachen gesehen mit die Überschwemmungen, die Leute. Aber nicht hier. Nicht in Sunder. Ist er noch nie gestiegen bis so weit hoch, unser Fluss. Auch nicht dies Jahr, glaube ich bestimmt nicht, dass er wird steigen so weit bis hier zu uns. Meint nur der alte Deepakbhai, wissen wir alle, wo der Fluss aufhört, Lin.«
Er hob den Blick und blickte mit zusammengekniffenen Augen in die Wolken.
»Aber normalerweise warten wir, bis er ist vorbei, der Regen. Dann erst schauen wir nach die Stöcke von das Überschwemmungsspiel. Bitte, Lin, schwimme ich in meine Kleider, und werde ich rausdrücken alles das Wasser aus meine gute Knochen, bevor ich gehe hinein in das Haus.«
Ich blickte weiter geradeaus. Er sah noch einmal zu den schwarzen Wolkenbergen hinauf und stellte mir dann eine Frage.
»In deinem Land, Lin, wisst ihr da nicht, wo er aufhört, der Fluss?«
Ich antwortete nicht. Schließlich streckte er den Arm nach oben, klopfte mir ein paar Mal auf die Schulter und ging nach Hause. Allein starrte ich eine Weile in die regendurchtränkte Welt, dann hob ich das Gesicht zum ertrinkenden Himmel.
Ich musste an eine andere Art von Fluss denken, der jeden von uns durchströmt, wo wir auch herkommen, überall auf der Welt. Es ist der Fluss des Herzens und der Strom der Herzenswünsche. Er ist die reine, einzige, die elementare Wahrheit darüber, was wir sind und was wir erreichen können. Ich war mein Leben lang ein Kämpfer gewesen und war immer bereit, allzu bereit gewesen zu kämpfen: für das, was ich liebte, und gegen das, was ich verabscheute. Zum Schluss wurde ich selbst zum Inbegriff dieses Kampfes, und mein wahres Wesen verbarg sich hinter der Maske aus Drohungen und Feindseligkeit. Mein Gesicht und meine Bewegungen, wie die vieler harter Männer, sandten die Botschaft aus: Komm mir ja nicht in die Quere. Zum Schluss verkörperte ich diese Haltung so perfekt, dass mein ganzes Leben zur Botschaft wurde.
Doch im Dorf funktionierte das nicht. Niemand verstand meine Körpersprache. Die Dorfbewohner
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