Shaolin - Das Geheimnis der inneren Staerke
Größe und Scheußlichkeit. Die Bediensteten begriffen schnell. Sie brachten dem Dämon Tee, richteten ein leckeres Menü an und massierten ihm die Füße. Jede Liebenswürdigkeit ließ den Dämon immer weiter schrumpfen. Und nach einer allerletzten Freundlichkeit war er schließlich ganz verschwunden.
Achtsam
und freundlich
miteinander
leben
In den vorangegangenen Kapiteln haben wir gezeigt, wie Sie mit Körper, Geist und Gefühlen umgehen können, damit Sie an innerer Stärke und Zufriedenheit gewinnen. Da wir aber nicht allein auf der Welt sind, gehört zu unserem Glück auch immer unser Verhältnis zu anderen Menschen. Als soziale Wesen sind wir sogar abhängig von anderen Lebewesen, vor allem von denen, die uns nahestehen, wie unsere Familien, Freunde, Kollegen, Kunden oder Chefs. Deshalb gehört zu unserer eigenen Stärke immer auch die Stärke, die wir im Umgang mit anderen haben.
Es ist ein Grundprinzip der Shaolin-Philosophie und des Buddhismus allgemein, dafür zu sorgen, dass es uns und auch den anderen gut geht. Denn wenn es uns gut geht, profitieren davon auch die Menschen in unserem Umfeld – und umgekehrt. Wie tief dieses Grundprinzip im Buddhismus verwurzelt ist, zeigt sich zum Beispiel daran, dass die Bodhisattvas, erleuchtete Menschen, die eigentlich nicht mehr in den Kreislauf von Tod und Wiedergeburt zurückkehren müssten, freiwillig in die Welt zurückkommen (etwa als Dalai Lama), um den Menschen auf ihrem Weg zu innerer Stärke und dauerhaftem Glück zu helfen und das Leid in der Welt zu mindern. Auch die Shaolin-Mönche verfolgen diese Absicht. Eine wesentliche Voraussetzung auf diesem Weg zum Glück in der Welt ist, sich selbst und anderen gegenüber achtsam und freundlich zu sein, gemäß dem Goethe-Zitat: »Behandle die Menschen so, als wären sie, was sie sein sollten, und du hilfst ihnen, so zu werden, wie sie sein könnten.« Mit dieser Haltung tragen wir dazu bei, dass das Leid auf der Welt immer weiter schrumpft, genau wie der Dämon in der Shaolin-Geschichte.
Konflikte
friedlich austragen
Die Welt ist geprägt von kriegerischen Auseinandersetzungen. Nach wie vor ist es zwar der Wunsch der meisten Menschen, friedlich miteinander zu leben, doch die Realität sieht anders aus. Krieger, Soldaten, Ritter – zu jeder Zeit und in fast allen Kulturen prägen sie das Männerbild. Dem setzen Buddhisten wie die Shaolin-Mönche eine gänzlich andere, friedliche Haltung entgegen, eine ohne Ausübung von körperlicher oder geistiger Gewalt. Obwohl die Mönche die Kampftechniken ursprünglich auch dafür entwickelt haben, um sich in ihrem abgelegenen Kloster gegen wilde Tiere und Überfälle zu verteidigen – was auch im Buddhismus absolut legitim ist –, kämen sie nie auf die Idee, ihre tödlichen Techniken außer zur Selbstverteidigung gegen andere Lebewesen einzusetzen. Deshalb messen sich die Mönche auch nicht in Wettkämpfen, obwohl sie die besten Kung-Fu-Kämpfer hervorbringen. Ihre »Kampfkunst« zielt lediglich darauf ab, den Körper zu trainieren, um dadurch innere Stärke zu entwickeln. Und mit dieser inneren Stärke kann man auch Konflikten begegnen.
Der Kern von Konflikten
Wir werden Konflikte mit anderen nicht vermeiden können, da zwischen Menschen immer wieder unterschiedliche Erwartungen aufeinandertreffen, also unterschiedliche Einstellungen und Werte. Sie bilden den Kern jedes Konfliktes. Das Entscheidende ist, wie wir diese Unterschiede bewerten, ob wir sie wert- schätzen oder sie ab -werten. Erst die Bewertung bestimmt die Art und Weise, wie wir mit den unterschiedlichen Erwartungen umgehen. Damit soll nicht einer konfliktscheuen Einstellung Vorschub geleistet werden, die um der (Schein-)Harmonie willen Auseinandersetzungen ausweicht. Vielmehr geht es um eine bewusste Haltung, die wir einnehmen können.
»Es gibt nur eine falsche Sicht der Dinge: der Glaube, meine Sicht sei die einzig richtige .«
[ Nagarjuna ]
Um das Beispiel der Pünktlichkeit noch einmal aufzugreifen: Ist sie uns wichtig, können wir zunächst erst einmal darauf achten, dass wir selbst pünktlich sind, ohne es von Anfang an gleich von anderen zu erwarten. Mit der entsprechenden Selbsterkenntnis und Toleranz müssen wir denselben Wert nicht automatisch auch bei anderen voraussetzen. Wir gewinnen innere Freiheit und Stärke, wenn wir uns bewusst sind, dass andere Menschen andere Werte und Einstellungen haben als wir. Dann können wir diese genauso respektieren, wie wir selbst erwarten, dass
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