Shaos Todeswelt
eigenen Vergangenheit zu tun haben konnte.
»Amaterasu«, murmelte sie. »Diejenige, die in der Dunkelwelt gefangen wird. Dunkelwelt gleich Totenwelt?« fragte sie halblaut. Inzwischen war alles möglich, und sie wollte auch nicht mehr glauben, dass sie mit ihrem Schicksal abgeschlossen hatte. Da kam noch etwas nach, und zwar ein Teil aus der Vergangenheil.
Lohnt es sich denn, dass ich mich wappne? Es gab da schon eine Möglichkeit, mit der sich Shao beschäftigte. Sie erinnerte sich an die früheren Zeiten, in denen sie das Phantom gewesen war. Mit der Maske, in der Lederkleidung und bewaffnet mit der Armbrust war sie aus dem Jenseits erschienen, aus dieser anderen Welt, die von der Sonnengöttin gelenkt wurde.
Ja, das Phantom aus dem Jenseits.
Die Maske befand sich nach wie vor in ihrem Besitz. Mit der Kleidung und der Armbrust verhielt es sich ebenso. Sie dachte auch an das Erbe des toten Yakup, die heilenden Handschuhe und die Krone der Ninja, alles Waffen, die sie einsetzen konnte.
Aber lohnte sich der Aufwand?
Da war sich Shao eben nicht sicher. Sie wusste nicht, ob sie besser war, wenn sie als Phantom auftrat, denn das Geschehen selbst konnte sie nicht diktieren. Es wurde ihr einzig und allein durch den Fortgang des Spiels aufgezwungen.
Und wenn sie ihre Kampfkleidung anlegte, bedeutete das nicht, dass sich auch ihr Pendant auf diese Art und Weise verändern würde. Das war nicht einprogrammiert worden.
Sicher war sie sich auch nicht. Je mehr sie darüber nachdachte, umso stärker manifestierte sich in ihr der Gedanke, dass sie es trotzdem versuchen sollte.
»Ja«, flüsterte Shao vor sich hin. »Ich mache es. Ich werde wieder so werden, wie ich schon einmal gewesen bin. Ich will, wenn möglich, die Verbindung verstärken.«
Der Gedanke, sich an Suko oder John zu wenden, war wieder aus ihrem Kopf verschwunden. Dieses Spiel war im wahrsten Sinne des Wortes auf sie abgestellt worden. Sie hatte es begonnen und würde es bis zum (bitteren) Ende durchziehen.
Als sie diesen Entschluss gefasst hatte, ging es ihr besser. Sie konnte sogar wieder lächeln, und das Auftreten klappte auch besser. Zudem spielte sie kurz mit dem Gedanken, die Wunde durch die Handschuhe zu heilen. Dann jedoch scheute sie davor zurück. Sie befürchtete, das Andenken an Yakup zu entweihen, obwohl das, nüchtern betrachtet, reiner Unsinn war. Aber Shao zeigte schon eine gewisse Sensibilität, und dabei blieb es auch.
Im Schlafzimmer fand sie ihre zweite Kleidung. Shao holte die Dinge aus dem Schrank und breitete sie auf dem Bett aus.
Die Maske, den Anzug aus dünnem Leder, ein äußerst verwegenes Outfit.
Das war ihr egal.
Sie fühlte sich auch nicht verkleidet, als sie ihre normalen Sachen auszog und in die anderen hineinschlüpfte.
Es passte noch alles.
Als zweite Haut lag das Leder auf ihrer. Geschmeidig und weich passte es sich jeder Bewegung an, als wollte es die einzelnen Hautfalten nachzeichnen.
Shao strich über ihren Körper hinweg. Sie fühlte sich gut dabei, als wäre ein Strom der Kraft durch ihren Körper gerieselt, der sie zudem aufgeputscht hatte.
Es fehlte noch die Maske.
Auch sie legte Shao an. Sie verdeckte einen Großteil ihres Gesichts und ließ nur die Augen frei. So war sie fast unkenntlich geworden. Die Waffe hatte sie ebenfalls auf das Bett gelegt. Shao hob sie vorsichtig wie ein Heiligtum an.
Vor einigen Hundert Jahren wurde sie als Bogenschleuder bezeichnet.
Sie hatte sich tatsächlich aus dem Bogen entwickelt, mit dem früher Steine und Bleikugeln geschleudert worden waren. Den Chinesen war sie in der ursprünglichen Form bereits vor rund fünfhundert Jahren bekannt gewesen.
Heute bestand die Armbrust aus dem Bügel, der Sehne, dem Schaft, der Bolzenrinne und dem Drücker.
Und es gehörten Pfeile zu der Waffe.
Auch die befanden sich in Shaos Besitz. Sie bewahrte sie in einem Köcher auf, den sie ebenfalls aus dem Schrank holte, ihn aber nicht über die Schulter spannte.
Shao dachte wieder an Amaterasu, die in der Dunkelwelt gefangen worden war. Erst wenn ihr Fächer gefunden wurde, konnte die Göttin diese Welt verlassen, aber das Versteck kannte Shao nicht, und auch Shimada hatte es vor seinem Tod nicht verraten.
Es war alles in Ordnung. Ihre Kleidung ebenso wie die Waffe. Dafür hatte Shao durch ihre Pflege gesorgt, auch wenn sie die Waffe seit langer Zeit nicht benutzt hatte.
So ausgerüstet ging sie wieder zurück in den Wohnraum zu ihrem Arbeitsplatz. Vor kurzem noch hatte sie stark
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