Shaos Todeswelt
Pinnwand frei, und sie war Sukos Ziel.
Für einen Moment blieb er dort stehen. Wie jemand, der sich für die angehefteten Bilder interessierte. Er suchte die Wand kurz ab, dann schnellte sein rechter Arm in die Höhe, und mit der entsprechenden Hand griff er blitzschnell zu.
Der Reihe nach riss er drei Fotos von der Pinnwand ab und knallte sie wie Karten auf den Konferenztisch.
»Wer ist das, Mr. Cheng?«
Der Chef trat näher.
»Eine Landsmännin von mir und sicherlich auch von Ihnen, Suko.«
»Da haben Sie recht«, flüsterte Suko. »Da haben Sie sehr recht, Mr. Cheng.«
»Wie ich schon sagte…«
»Sie haben diese Frau fotografiert?«
»Sicher.«
»Warum?«
»Sie wurde als Vorbild für eine unserer Figuren genommen. Sie wurde vermessen, aufgelöst in Daten, die unser Rechner dann umsetzte. So ist diese Frau dann als virtuelle Person entstanden und zu einer Heldin des Spiels geworden.«
»Ja, zu einer Heldin. Warum haben Sie gerade diese Frau genommen?«
»Unsere Scouts fanden die Person als besonders hübsch.«
»Für die Totenwelt, wie?«
»Für das Spiel, Suko!« erklärte Cheng.
»Kennen Sie eigentlich den Namen dieser Frau, deren persönliche Rechte Sie einfach übergangen haben?«
»Nein, den kenne ich nicht.«
»Aber ich kenne ihn!« flüsterte Suko dem Chef der Firma scharf zu. »Ich kenne die Frau gut. Sie heißt Shao und ist zufällig meine Lebensgefährtin, Mr. Cheng…«
***
Der Chinese bewegte sich nicht. Er starrte Suko nur an. Möglicherweise überlegte er, ob er etwas sagen sollte, aber er hielt sich zurück und senkte auch seinen Blick.
»Warum schweigen Sie, Mr. Cheng?«
»Das wusste ich nicht.«
»Kann ich mir denken.«
Cheng hob die Schultern. »Sie können es ja als ein Kompliment auffassen, dass wir Ihre Partnerin ausgesucht haben. Meine Leute haben wirklich lange geforscht. Es gibt einfach nicht viele ungewöhnliche und zugleich hübsche Frauen.«
»Warum musste es ausgerechnet eine Chinesin sein?« erkundigte sich der Inspektor.
»Wegen der Exotik.«
»Wie schön. Was würden Sie denn dazu sagen, wenn Ihre Frau oder Partnerin nackt auf einem Videospiel zu sehen wäre? Oder beinahe nackt, Mr. Cheng.«
»Ich weiß es nicht. Ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht.«
»Das kann ich mir vorstellen. Aber Shao bewegte sich als virtuelle Figur durch diese Totenwelt.«
»So ist es.«
»Was tut sie dort?«
Cheng räusperte sich. »Sie muss allerlei Gefahren bestehen, um das Rätsel zu lösen.«
»Welches denn?«
»Da werden Sie kaum eine Beziehung dazu haben, Suko.«
»Ich will es trotzdem wissen.«
»Sie muss jemanden begleiten. Eine Göttin oder eine Königin, ganz wie Sie wollen.«
»Eventuell eine Sonnengöttin?«
Chengs Augen weiteten sich. »Oh - Sie wissen Bescheid?«
»In der Tat, Mr. Cheng.« Suko atmete tief ein. »Heißt diese Sonnengöttin zufällig Amaterasu?«
»Ja, das ist ihr Name.«
Damit stand nicht nur Suko unter Strom, sondern auch ich. Plötzlich hatten sich Dinge aufgetan, mit denen wir nie und nimmer gerechnet hätten. Bisher hätten wir ja noch an einen Zufall glauben können. Das war jetzt vorbei. Hier war ein bestimmter Plan verfolgt worden, und den hatte man auch eingehalten. Nur wusste die andere Seite nichts über uns. Deshalb hatten wir auch so freimütig bestimmte Antworten und Erklärungen erhalten.
Ich bewunderte Sukos Haltung, denn er zeigte kaum eine Reaktion und riss sich zusammen. Beinahe gleichmütig stellte er die nächste Frage. »Der Spieler kann die Sonnengöttin also durch Shaos Hilfe sehen oder befreien.«
»Wenn er sehr gut ist, schon.«
»Was heißt das?«
»Es ist schwierig.«
»Das Spiel oder auch er können also abstürzen!«
»Bestimmt.«
»Und was geschieht anschließend?«
»Dann bleibt die Sonnengöttin in der Dunkelwelt gefangen.«
»Das dachte ich mir.«
»Aber man kann das Spiel von vorn beginnen und es noch einmal versuchen. Die Heldin stirbt ja nur den virtuellen Tod, nicht den realen. Sie verstehen schon.«
»Ja, wir verstehen alles, Mr. Cheng. In der Theorie natürlich. Aber mein Kollege und ich gehören eigentlich mehr zu den praktischen Menschen. Wissen Sie, was ich damit meine?«
Er räusperte sich. »Ich könnte es mir denken, aber sicher bin ich noch nicht.«
»Dann werde ich es Ihnen sagen, Mr. Cheng. Wir beide möchten dieses Spiel in der Praxis erleben.«
»Bitte?«
»Sie haben mich schon verstanden. Aber wir werden es uns nicht kaufen.« Suko deutete auf den Computer.
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