Shaos Todeswelt
Ahnenreihe. Sie kämpft sogar doppelt für mich. Wenn sie den Fächer in der virtuellen Welt findet, wird sie es auch in der realen schaffen.«
»Nein!« sagte ich. »Darauf können Sie nicht zählen, Cheng. Der Fächer befindet sich nicht in der realen Welt, so wie wir sie kennen. Er muss einfach in einer anderen Dimension liegen. In der Welt der Legenden, der mächtigen Götter. Möglicherweise sogar in der Jigoku, der Hölle.«
»Das sind Spekulationen, Sinclair. Ich weiß es, verlassen Sie sich darauf.«
»Stimmt, denn ich vergaß, dass Sie das Spiel erfunden haben. Da muss ich wohl umdenken.«
Er nickte mir zu. »Was ich Ihnen auch raten würde.«
»Ich komme trotzdem noch nicht mit gewissen Vorgängen zurecht, Cheng. Wie ist es möglich, dass eine lebende Person wie Shao in diese virtuelle Welt hineingeraten kann?«
»Es ist die Beziehung zu Amaterasu.«
»Fast akzeptiert. Nur habe ich keine echte Sonnengottin erlebt, sondern eine von Ihnen geschaffene. Da kann ich mir eine Beziehung zwischen den beiden beim besten Willen nicht vorstellen. Da müsste es doch eigentlich noch etwas anderes geben.«
»Der Geist der Sonnengöttin.«
»Wie das?«
»Der echte.«
»Der die Kunstfigur erfüllt?« fragte ich.
»So weit will ich nicht gehen, Sinclair. Ich weiß auch nicht, wie stark die Gefangene der Dunkelwelt noch ist, aber mit Shao hat sie doch schon immer Kontakt gehabt. Der ist doch nie abgebrochen. Ich bin davon überzeugt, dass sie es dank ihrer großen Macht gewesen ist, die Shao zu sich geholt hat. Ihre geistige Stärke hat die Grenzen überbrückt, und so konnte sich das Band zwischen ihr und Shao wieder festigen. Dass Shao in die virtuelle Welt eingetaucht ist, dafür dürfen Sie mich nicht verantwortlich machen. Wir wollen nur ein wenig steuern und profitieren. Die eigentlichen Fäden aber hält die gefangene Person in der Dunkelweit in den Händen und bewegt die daran hängenden Personen wann und wie immer sie will.«
»Und Sie sind völlig harmlos und stehen einfach nur dazwischen.«
»Ich will profitieren.«
»Indem Sie den echten Fächer bekommen.«
»Das ist wahr. Wenn ich ihn habe, dann besitze ich eine Insignie der Macht. Nur das zählt für mich. Denn durch die Kraft des Fächers kann ich die Menschen regieren.«
Kompliziert, aber trotzdem logisch. Zudem für einen Menschen wie mich, der schon die unmöglichsten Dinge erlebt hatte, auch in gewissen Punkten nachvollziehbar.
Nichtsdestotrotz waren Cheng und seine Leute unsere Feinde. Sie würden alles tun, um ihr Ziel zu erreichen und sich dabei auch über alles hinwegsetzen.
Cheng lächelte mich wieder an. »Was denken Sie denn jetzt, John Sinclair?«
»Eigentlich nicht viel. Ich denke nur darüber nach, dass das Spiel noch läuft. Wir haben das Ende nicht erreicht, Cheng.«
»Wie wahr.« Sein Gesicht zerfloss beinahe vor Genuss. »Aber ich sehe Ihr Ende schon vor mir.«
»Abwarten.«
»John!« Sukos drängende Stimme alarmierte mich zwar nicht, nahm aber meine Aufmerksamkeit in Anspruch.
»Was ist denn?«
Er deutete auf den Monitor. Dort hatte sich nichts verändert, denn Suko hatte das Spiel nicht fortgeführt. Trotzdem musste ihn irgendetwas aufmerksam gemacht haben. Sosehr ich auch suchte, für mich war nichts zu erkennen.
»Was hast du denn?«
Er musste sich erst den Schweiß von der Oberlippe wischen. »Es geht um Shao. Bei ihr hat sich etwas verändert. Ich weiß nicht, wie es kommt, aber ich glaube, ich habe eine Brücke zu ihr schlagen können.«
»Hast du Kontakt?«
»So gut wie…«
»Das ist…«
»Psst!« zischte er.
Ich war ruhig, die anderen ebenfalls, und meine Blicke hingen an Sukos Gesicht. In Situationen wie diesen verlor auch er die Beherrschung, denn Shaos Schicksal berührte ihn tief.
Plötzlich lächelte er. Die Starre aus seinem Gesicht verschwand und machte einem weichen Ausdruck Platz. Da wusste ich, dass er über eine ganz andere Schiene mit seiner Partnerin redete. Auch Typen wie Cheng und seine Männer würden davon nichts mitbekommen.
Ich hatte ebenfalls keinen Kontakt. Mir blieb nichts anderes übrig, als uns die Daumen zu drücken…
***
Shao stand auf der Stelle und wirkte so, als wollte sie jeden Moment abheben und in den Himmel hineinstoßen. Sie konnte es nicht glauben, aber es stimmte.
Sukos Stimme tanzte durch ihren Kopf.
Nein, nicht seine Stimme. Es waren seine Gedanken gewesen, die sie so laut wahrnahm, als hätte er mit ihr selbst gesprochen und würde auch neben ihr
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