Shaos Todeswelt
einer bestimmten Entfernung blieb sie hinter ihrem virtuellen Pendant und verkürzte die Distanz zu der anderen auch nicht.
Selbst der Himmel über ihnen kreiste. Die langen Wolkenstreifen lösten sich auf, fanden wieder zueinander, bildeten neue Figuren, die nie lange Bestand hatten und sich immer wieder auflösten, als liefe über ihnen eine sich ständig verändernde Wetterkarte ab.
Aber die Welt blieb leer. Keine Monstren, keine unheimlichen Geschöpfe, erst recht keine Menschen, die ihnen entgegenkamen. Sie waren die einzigen, die in diese sich ständig verändernde Grenzenlosigkeit hineingingen und sich einfach verloren vorkommen mussten, da auch der Himmel über ihnen immer weiter wurde.
Es gab in dieser virtuellen Welt weder Kälte noch Hitze. Zumindest spürte Shao nichts davon. Die Welt war einfach da, sie war künstlich und für sie trotzdem real, und als Shao zu Boden schaute, da erschrak sie im ersten Augenblick, weil sie das Gefühl überkam, der Boden würde ihr unter den Füßen weggezogen.
Das stimmte nicht.
Shao II ging, Amaterasu ebenfalls, und irgendwo in einer anderen Welt saß Suko, der sie alle durch das Spiel führte. Shao dachte daran, und das wiederum flößte ihr Vertrauen ein. Suko hatte sie noch nie enttäuscht. Er würde alles in seinen Kräften Stehende tun, um ihr zu helfen. Die entsprechende Schlussfolgerung lag ebenfalls nahe. Wenn er das tun wollte, warum hatte er es bisher noch nicht getan? Darüber zerbrach sich Shao ebenfalls den Kopf. Sie war leider nicht in der Lage, eine für sie akzeptable Lösung zu finden. Es war wohl vorstellbar, dass Suko gezwungen wurde, das Spiel fortzuführen. Wer dann sein Gegner war, darüber konnte sie zwar spekulieren.
Amaterasu war zwar bei ihr geblieben, doch sie ging einige Schritte vor. Mit Bestimmtheit konnte Shao es nicht sagen, dennoch spürte sie, dass etwas von ihr ausging. Sie strahlte etwas ab, das die Chinesin wieder an die Zeit erinnerte, die sie in der Dunkelwelt der gefangenen Sonnengöttin verbracht hatte. Da war dieser Einfluss auch zu spüren gewesen, und er war geradewegs von der Sonnengöttin selbst gekommen.
Ja, von ihr. Und jetzt auch.
Es war nicht die echte Sonnengöttin, aber diese virtuelle Gestalt hatte etwas von ihr angenommen, das Shao einzig und allein als deren Flair ansah.
Die Wirbel am Himmel und auch die Bewegung des Untergrunds legten sich wieder.
Shao II blieb stehen. Amaterasu und die echte Shao folgten ihrem Beispiel.
War das Ziel erreicht? Hatte sich die Welt verändert? Ja, sie war etwas anders geworden, das musste die echte Shao zugeben. Da hatte sich der Untergrund verschoben und praktisch eine neue Fläche gebildet. In einem düsteren Braungrau, das allerdings dort aufzuhören schien, wo Shao II angehalten hatte.
Warum?
Die echte Shao wollte es wissen. Sie ging vor, überholte die wartende Amaterasu und blieb dann neben ihrem Pendant stehen. Sofort schlug ihr Herz schneller, aber sie war froh, dass es noch so heftig schlagen konnte. So spürte sie, dass sie noch lebte.
Aber diese verdammte Welt hatte ihre zweite Falle aufgebaut. Diesmal waren es keine Vögel oder andere Monster, die angriffen, es gab einfach ein Problem, das sich auch in einer normalen Welt hätte befinden können.
Vor ihr lag eine Schlucht, die Shao nicht überspringen konnte.
Im ersten Moment hätte sie schreien können. Sie wollte es nicht glauben. Es war einfacher, gegen Monster zu kämpfen, als diese tiefe Schlucht ohne Hilfsmittel zu überwinden. Da hätte sie schon Siebenmeilenstiefel haben müssen.
Die übrige Welt um Shao herum war wieder zur Ruhe gekommen. Es bewegte sich nichts mehr. Auch die Wolken lagen starr über ihren Köpfen. Wer diese Welt geschaffen hatte, war der Wirklichkeit verdammt nahe gekommen.
Shao wusste, dass sie nicht zurücklaufen konnte. Es gab dafür keinen Beweis, sie fühlte es einfach. Eine Lösung konnte es für sie nur auf dem Weg nach vorn geben.
Dann fiel ihr etwas auf. So düster wie die Schlucht beim ersten Hinsehen gewirkt hatte, war sie doch nicht. Zwar leuchtete ihr kein Licht aus der Tiefe entgegen, aber der Inhalt war doch zu erkennen. Er erschreckte Shao zutiefst.
Sollte jemand in die Schlucht hineinfallen, dann schlug er nicht auf dem Grund auf, wie es normal gewesen wäre. Er wurde unterwegs gestoppt.
Und zwar von angespitzten Pfählen, die einen herabfallenden Körper aufspießten. Die Spitzen schimmerten metallisch. Sie lauerten auf neue Beute. Shao fragte sich, wie
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